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Samstag, 7. September 2013

Retro-Festival "Stuttgarter Lyriknacht"

Eine Polemik zum 30. Jubiläum des Stuttgarter Schriftstellerhauses


So freundlich wurden wir empfangen   bei der 10. Stuttgarter Lyriknacht in der Stadtbibliothek: Mit einem bunten Strauß Malven gedachten die Organisatoren Stadtbibliothek, Stuttgarter Schriftstellerhaus und Literaturhaushaus des Schweizer Dichters Rainer Brambach (1917 - 1983), der im Hauptberuf Gärtner war, und seines Freundes Günter Eich (1907 - 1972). Den ersten Teil gestaltete das Schriftstellerhaus mit einem Vortrag des Germanisten und Journalisten Michael Braun über die beiden Dichterfreunde - unterstützt durch den Rezitator Florian Ahlborn. Es folgte unter der Regie von Florian Höllerer vom Literaturhaus ein poetischer Dialog von und mit Nico Bleutge (2012: "verdecktes gelände") und Uwe Kolbe (2013: "Lietzenlieder"). Wem danach war, der durfte anschließend vertonte Lyrik von Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike und Ludwig Uhland als Kunstlied hören, vorgetragen von Melanie Schlerf (Mezzosopran) und Hitoshi Tamada (Tenor), begleitet von Katie Lonson an der Gitarre. Alles sehr schön, alles sehr gut vorgetragen. Eine echte Lyriknacht.
Aber es gibt doch auch grundsätzliche Kritik: Ich finde es beschämend und traurig, dass zeitgenössische Stuttgarter Lyriker (Stuttgart steht ja im Titel!) da überhaupt nicht vorkommen. Mit Nico Bleutge und Uwe Kolbe hat das Literaturhaus einmal mehr Mainstream-Autoren präsentiert statt heimische Schriftsteller, beide von auswärts, beide vielfach preisgekrönt und herumgereicht. Jetzt also auch noch hier, wo einst lokale und regionale Autorenförderung angesagt war. Kein Ersatz, nirgends.
Das Schriftstellerhaus, von dem Lyriker Johannes Poethen vor 30 Jahren als Heimstatt und regionale Interessenvertretung lebender Autoren gegründet, begnügte sich mit zwei veritablen Toten. Akademisch gelehrt, aber eben nicht von einem Autor präsentiert, sondern von einem belesenen Lyrik-Kenner und einem Schauspieler. Und der Beitrag der Bibliothek selbst galt ebenfalls toten Dichtern (taniemenfrei), wobei die Honorare des Abends ausschließlich an Musiker und nicht an Autoren gingen. Aber was soll man sagen, wenn sogar die SWR2-Hörspielredaktion immer häufiger Hörspielaufträge an Komponisten vergibt, die kaum je ein Hörspiel gehört haben - geschweige denn geschrieben?
Nichts zeigt besser als diese Stuttgarter Lyriknacht ohne Stuttgarter Lyriker, wie tot die regionale Literaturförderung in der Landeshauptstadt ist. Die Rathauslesungen (in Stuttgart wurden die mal erfunden und waren bis zuletzt gut besucht!) wurden unter OB Schuster ebenfalls abgeschafft, und von Lesungen des Förderkreises Deutscher Schriftsteller höre ich auch nicht mehr viel. Wo einst blühende Landschaften kenntnisreich und sensibel vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst und dem Kulturamt gepflegt wurden, ist heute für Stuttgarter Autoren eine Wüste. Da drin gibt´s Oasen, z.B. für Krimi-und Bestseller-Autoren. Aber nicht für Lyriker oder sperrige Essayisten. Walle Sayer war der einzige Lyriker, den das Schriftstellerhaus zur viel gepriesenen "Literatur im Salon" in diesem Sommer eingeladen hatte - sein Auftritt war ein Glanzlicht. Aber er ist in der Szene inzwischen zum "Big Name" aufgebaut worden und stammt auch nicht aus Stuttgart. Da stimmen einfach die Gewichtungen nicht. Aber das ist kein Wunder, wenn die Programme von Journalisten oder Kulturmanagern gemacht werden, die Autoren aus der Region einfach nicht beteiligen.
Veranstaltungen dieser Art sind eine Fata Morgana für eitle Literaturfunktionäre, denen die ewig hungrigen Schriftsteller selbst nur noch lästig fallen. Ein potempkinsches Dorf für Oberflächen-Bildungsbürger. Bei Licht besehen: ein Skandal. Ein Retro-Festival der lyrischen Eitelkeiten, das die lebenden Autoren mit kaum zu überbietender Verachtung straft. Weil Ihr Nicht-Stromlinienförmig-Sein erst nach ihrem Tod wieder zur Selbstbespiegelung taugt. Weil ihre Kreativität verdächtig und nicht leicht verdaulich ist. Weil die Verwalter von Literatur heute lieber sich selbst fördern als diejenigen, die es nötig hätten und besser verdienten. So verdienen sie halt gar nichts mehr mit ihrer ohnehin meist brotlosen Kunst. Dass sie brotlos ist, verdankt sich solchen Zuständen - in einem immer noch reichen Land.
Dabei wird gern vergessen: Auch Mainstream-Autoren waren mal klein. Sie wurden zu dem gemacht, was sie heute sind: durch Preise wie den Thaddäus-Troll-Preis, durch Stipdendien, Einladungen zu Deutsch-Schweizer Autorentreffen, dem "Irseeer Pegasus", Landes-Literaturtagen und anderen Festivals, bezahlte Lesungen, Aufmerksamkeit in der Presse. Literaturförderung darf nicht zur reinen Mainstreamförderung verkommen, die Autoren aus der "zweiten Reihe" aus dem Blick verliert. Sie sollte auch nicht zur reinen Leseförderung werden wie bei "Eine Stadt liest ein Buch". So etwas ist schön, solange dabei Autoren aus dem Land nicht auf der Strecke bleiben wie 2011 in Stuttgart. Da sind Veranstaltungen wie das Eifel Literaturfestival oder die neuen Karlsruher Literaturtage von deutlich anderem Zuschnitt.
P.S.: Liebe Literaturfreunde, kommt mir jetzt nicht mit dem Totschlagargument "Neiddebatte", wo doch nur Gerechtigkeit angefragt ist (vielleicht auch noch die Zweckentfremdung von Steuermitteln zur regionalen Literaturförderung)! Auch Dichter wollen leben und haben ein Recht darauf. Das aber wird in Stuttgart vergessen - oder noch schlimmer - sehenden Auges dem Zeitgeist geopfert. Hier geht´s um nicht mehr und nicht weniger.

1 Kommentar:

Matthias Kehle hat gesagt…

Lieber Widmar,
Du hast völlig recht, schließ Dich mit den Stuttgarter Kollegen zusammen und haut auf die Kacke!