SWR
2 Buchkritik (Sachbuch)
Katajun
Amirpur:
„Den
Islam neu denken – Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und
Frauenrechte“.Verlag C.H. Beck München, 256 Seiten, 14,95 €
Viele
islamischen Gesellschaften haben ein Problem mit Gleichberechtigung,
Demokratie und Menschen-, vor allem Frauenrechten. Doch nicht der
Islam hat den Anschluss an Moderne und Aufklärung verpasst, sondern
privilgierte Gruppen islamischer Geistlicher, die seit 1000 Jahren
eine primitive Lesart des Korans vertreten. Ihr Deutungsmonopol ist
verantwortlich für Frauenfeindlichkeit und ein rückständiges
Gottesbild, das nur ihnen nützt. Katajun Amirpur, Professorin für
islamische Studien an der Universität Hamburg, hat jetzt ein
überfälliges Buch vorgelegt: „Den Islam neu denken. Der Dschihad
für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte“. Ihre Systemkritik
kommt von innen.
„Im
Zentrum steht der Koran selbst. Dieser ist als der Referenztext der
islamischen Kultur das einzige, worüber sich alle Muslime einig
sind, was man beispielsweise über die Auslegungen nicht sagen kann.
Deswegen sind die hier vorgestellten Denker der Auffassung, dass jede
Reform ihren Ausgang am Koran nehmen muss. Ohne eine koranische
Legitimation hat sie keine Aussicht auf Erfolg.“
Die
Autorin zeigt, dass die Vielfalt der Koranauslegun-gen immer ein
Wesensmerkmal der islamischen Theologiegeschichte war. Sie lenkt aber
vor allem die Aufmerksamkeit auf islamische Reformer von heute. Zum
Beispiel zeigen die Auseinandersetzungen mit Salafisten und
Muslimbrüdern in Ägypten seit dem „arabischen Frühling“:
Innerhalb der islamischen Welt tobt ein Kulturkampf, und wir haben
die Chance, die Modernisierer zu unterstützen. Einer davon ist der
iranische Wissenschaftler und Theologe Abdolkarim Soroush. Er lebt
seit über zehn Jahren in London, weil er den Mullahs unangenehme
Wahrheiten wie diese predigte:
"Freie
Gesellschaften, ob religiös oder areligiös, sind göttlich [d.h.
mit Gottes Willen im Einklang] und menschlich; in totalitären
Gesellschaften aber bleibt weder die Menschlichkeit noch die Gottheit
übrig".
Amirpur
stellt brillante Analysen des Korans durch die wichtigsten Denker
eines Reformislam vor, der viel zu wenig Beachtung findet. Die
meisten sitzen zwar im Exil, erhalten aber gerade jetzt Aufwind, weil
die Islamisten ganz offensichtlich übertreiben.
Exzesse
der Idiotie und Brutalität machen diese Reformer immer wichtiger.
Der Ägypter Nasr Hamid Zaid etwa griff die Unfehlbarkeit der
Geistlichen an. Die nannten ihn einen Gottlosen, und ein Gericht
verfügte seine Zwangsscheidung, weil in Ägypten nur Muslime mit
einer muslimischen Frau verheiratet sein dürfen. So läuft das!
Amirpur
stellt mit Amina Wadud aus den USA und Asma Barlas aus Pakistan auch
die wichtigsten weiblichen Vordenkerinnen eines neuen Islam vor. Sie
bekämpfen die Sklavenhaltermentalität islamischer Machos. Sie
wehren sich gegen Genitalbeschneidung, Zwangsheirat, die lebenslange
Bevormundung durch Männer, das Eingesperrtsein im eigenen Haus. Die
Verweigerung von Bildung oder Gewalt gegen Frauen werden ja auch noch
gern – und völlig unsinniger-weise – mit dem Koran begründet.
Amina
Wadud aus den USA zum Beispiel ist die erste Frau, die ein
öffentliches Freitagsgebet leitete, an dem Männer und Frauen
teilnahmen. Die konvertierte Tochter eines schwarzen
Methodistenpfarrers sagt:
„Für
den, der in den Islam und die Gender-Apartheid hineingeboren wird,
mag es Situationen geben, in denen manche Denkmuster, obschon sie
unterdrük-kerisch sind, erduldet werden. Ich hatte diesen
Hintergrund nicht und akzeptiere nichts, das meine Würde verletzt.
Dagegen hatte ich ja schon in einem rassistischen Amerika zu kämpfen
gelernt.“
Für
Wadud und ihre Kollegin Asma Barlas beleidigt das Patriarchat den
Islam und die Moral, weil es ungerecht ist. Es setzt die eigene
Auffassung von Gottes Offenbarung mit der Offenbarung selbst gleich
und die eigene Person an die Stelle Gottes. Was wäre das für ein
jämmerlicher Gott, der universale Gerechtigkeit fordert und
Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen duldet? Gottesrechte
gegen Menschenrechte auszuspielen, so die Autorin, ist gegen jede
Religion und jede Vernunft: Es ist zutiefst dumm und anachronistisch.
Auch davon erzählt dieses Buch sehr überzeugend.