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Freitag, 10. Juni 2011

Meine Wien-Reise III: Paläste für Adel und Bürger

Wiens Ringstraße, die im 19. Jahrhundert als Prachstraße auf den geschleiften und nicht mehr sinnvollen Festungsanlagen aus der Zeit der Türkenkriege gebaut wurde, war auch unser zeitweiliges Basislager: angemessen und lehrreich. Das Dach überm Kopf: Das Radisson Blu Palais Hotel, enstanden aus dem 1872 erbauten Palais Henckel von Donnersmarck (ja, da kommt der Regisseur und Oscar-Preisträger also her!) und dem Palais Leitenberger.
















Die klassizistischen Paläste sind natürlich heute wie damals für normale Menschen zu teuer im Unterhalt. Sie beherbergen Versicherungen und Behörden, Nobelgeschäfte und Restaurants, Handelsniederlassungen und Fluggesellschaften, Kanzleien und reiche Leute - und eben zahlreiche bessere Hotels. Derzeit wohl  die Top-Adresse dieser Nobelherbergen unter Denkmalschutz ist das Hotel Imperial. Aber auch das Shangri La bezieht hier gerade einen Block.

Von hier aus kann man den ganzen 1. Bezirk (Innenstadt im engeren Sinn des Wortes) zu Fuß erkunden. Allerdings braucht man dazu gesundes Schuhwerk und eine leidliche Kondition. Wenn nicht vorhanden: Da fährt auch die Straßenbahn. Mit dem Auto möchte ich hier aber nicht unterwegs sein, weil es Wochen oder Monate dauern würde, bis man die ganzen Einbahnstraßen im Griff hat.

Innen dürften die meisten dieser Innenstadt-Palais so aussehen wie unser Hotel. Mit Ahnengalerie im Treppenhaus, die dem Gast wenig sagt, aber dem kunsthistorisch interessierten Publikum erhalten bleibt.
Typisch auch der Stilmix aus Klassizismus, Jugendstil, Neo-Renaissance und anderen, oft namenlosen Spielarten einer Ästhetik, die dem Genuss verpflichtet ist - optisch und auch sonst.

Schon die Lobby (die heute vermutlich wirklich ein Lobyistentreff ist) vermittelt einen Eindruck von der großzügigen, aber nicht ungemütlichen Bauweise. Kein schlechter Treffpunkt - und fürs Personal am Empfang leicht im Auge zu behalten.














Hier bekommt man Zeitungen, Getränke und Snacks, bei Bedarf ein Taxi oder Mietwagen, Auskünfte und - so man Zeit hat - immer etwas zu sehen. Wenn nicht gerade ein ganzer Kongress ein- oder auscheckt (im 1. und 2. OG gibt es dazu die passenden Tagungsräume), hält sich die Unruhe des Kommens und Gehens in Grenzen.

Besonders phantasievoll sind oft die Innenhöfe der Palais gestaltet - hier unser Donnersmarck-Hotel. In Wien bläst viel Wind, der würde sich auch in den Innenhöfen verfangen und ihre Nutzung erschweren. So hat man die meisten verglast - in einer Zeit, als Glas- und Metallbau noch auf Gusseisen basierten und etwas Neues waren.

So bleibt das Tageslicht erhalten (so vorhanden), und die Architektur spielt mit Symmetrie und einem reizvollen Wechsel von Außen und Innen. Diese Bauweise spoart aber auch Energie in einem Ambiente, das sonst eher durch Verschwendung gekennzeichnet bleibt.
Alma Mahler sollte unbedingt so ein Palais und bekam es, die nymphomanische, herrische und kunstbesessene Ehefrau des Komponisten Gustav Mahler. Hier konnte sie ihre Wiener Seilschaften als Mäzenin pflegen und saß wie die Spinne im Netz ihrer Beziehungen, Intrigen und Liebschaften, derweil der Gemahl auf Konzertreisen war oder die Stadt, den Hof und die ganze Mischpoche der feinen Gesellschaft zum Kotzen fand.




Diesen Blick über die Dächer von Wien (in der Mitte die Kuppel der Karlskirche) hatten wir aus unserem Zimmer im Hotel. Das erzeugte Behéme-Gefühle, die auch architektonisch bestätigt wurden: Paläste - oder besser einen einzigen riesigen Palast hat Wien auch für Bürger gebaut. Über einen Kilometer lang ist der Karl-Marx-Hof des expressionistischen Architekten Karl Ehn, erbaut ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise von 1937-1030 im Auftrag der sozialdemokratischen Stadtregierung. Es war ein Projekt gegen die Wohnungsnot mit Modellcharakter bis heute.



Das monumentale Symbol für das "rote Wien" wurde wie andere, meist kleinere Anlagen finanziert durch Luxussteuern auf Champagner, Dienstmädchen, Autos und andere Accessoirs des gehobenen Lebensstils auf der Ringstraßenseite der Wiener Gesellschaft. Die Wohnungen waren im Schnitt 40 Quadreatmeter klein, die Mieten erschwinglich. Die "Arbeiterschließfächer" der Plattenbauten im real existierenden Sozialismus nach dem Zweiten Weltkrieg waren im Vergleich dazu Elendsquartiere. Denn hier im Karl-Marx-Hof gab es von Anfang an fließend kaltes und warmes Wasser, günstige Strom- und Gastarife sowie eine vorbildliche Infrastruktur: Gemeinschaftseinrichtungen wie Bäder, Waschküchen, Gaststätten (zum Teil bis heute in Betrieb), Läden, Bibliotheken, Kindergärten, Freibäder und "Kunst am Bau". Manche der heutigen Bewohner sind schon als Kleinkinder dort in der Heiligenstädter Straße eingezogen, und die meisten wollen nie wieder weg.

Auch ruhige Innenhöfe mit sonnigen Balkons für die Hälfte der 1252 Wohnungen zeigen, wie erstrebenswert Großstadtleben schon damals sein konnte. 

Dass hier eine Hochburg der Arbeiterbewegung entstand, die bis heute polarisiert, wundert mich nicht. Die Straßenbahn vor der Haustür, die Arbeit nicht weit: Davon z.B. träumen Pendler heute zu Millionen in ganz Europa. Als wir dort waren, entstand gerade eine riesige Tiefgarage für die automobilen Bewohner des Karl-Marx-Hofes, und der Park vor der frontalen Hauptfassade an der Heiligenstädter Straße wurde deshalb zum Großteil neu angelegt. Kein Wunder, dass auch diese Anlage längst unter Denkmalschutz steht.

Kunst am Bau ist keine Erfindung der Zeit nach 1945.

Ich finde, man sollte alle frisch gewählten Kommunmalpolitiker Europas hierher zu einer Besichtigung einladen. Dann können sie studieren, was möglich ist im sozialen Wohnungsbau - und was immer noch unmöglich ist: soziales Denken bei asozialen Leuten zu erzeugen.

Solche Leute gibt es auch in Wien natürlich auch im Jahr 2011 noch.Sie zeigen sich nicht unbedingt bei Tageslicht, aber ihr Wirken im Dunkeln hinterlässt offenbar häufiger Spuren als das Geld für deren Entfernung reicht.

 




Diese Gedenktafel an der Rückseite des Blocks hängt zu hoch für Vandalen: Sie erinnert an den Arbeiteraufstand gegen den bewaffneten Austrofaschismus im Jahr 1934, der hier ein Zentrum hatte und der von der Regierung mit Kanonen zusammengeschossen wurde.


Was dann 1938 nach der Machtübernahme der Nazis geschah, hat ebenfalls eine hoch gehängte Gedenktafel an der Rückseite festgehalten:
60 Familien wurden wegen "nicht-arischer Herkunft" aus dem Karl-Marx-Hof vertrieben

Die Namen der Verjagten sind hier verewigt. Einge von ihnen landeten von hier aus direkt im KZ.

Nach der Generalsanierung des Karl-Marx-Hofes in den Jahren ab 1990 wurden einige Wohnungen zusammengelegt. Die meisten blieben aber so klein, wie sie immer waren - und so zahlreich. Die ursprüngliche Idee gilt ja nach wie vor: Möglichst viele Menschen sollen in der Millionenstadt Wien eine lebenswerte Umgebung und eine menschenwürdige Wohnung finden.

 





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