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Freitag, 17. Dezember 2010

Joseph P. Strelka: "Dichter als Boten der Menschlichkeit"

Literarische Leuchttürme in Zeiten des Chaos - eine Rezension von Karl Lubomirski und ausnahmsweise nicht von mir.

2010 Narr Francke Attempto Verlag,Tübingen
396 Seiten, 49 €

Dank der Analyse der Hauptwerke von 21 maßgebenden Autoren, die zwischen dem Gelben Meer und dem Pazifik das literarische 20 Jahrhundert geprägt haben, findet der mittlerweile weltberühmte Germanist Strelka hinter dem Chaos zugleich den Keim für dessen  Überwindung oder den Keim des Keimes. Dies ist umso tröstlicher, als der Leser, der sich nicht selten in kritikloser Bewunderung der lebensverändernden Literatur verlor, auf ihre Schreiber und deren meist erschütternden Leidensweg hingewiesen wird.

In wenigen Seiten zum Beispiel umreißt Strelka das für große Teile Schwarzafrikas Symptomatische anhand des Romans eines Ibo (Chinua Achebe: „Alles fällt auseinander“). Hermann Brochs Massenwahntheorie mag man kennen oder nicht, aber entscheidend bleibt auch hier der Gesichtswinkel und das überzeugende Festhalten am eingangs angedeuteten Gemeinsamen, das konsequent aufgezeigt wird . ganz gleich ob bei Albert Camus, William Faulkner, Carlos Fuentes, Gao Xingjian, Joào Guimaràes Rosa, Hermann Hesse, James Joyce, Yasunari Kawabata, Nikos Kazantzakis, Selma Lagerlöf, Malcolm Lowry, Nagib Machfus, Czeslaw Milosz, V.S.Naipaul, Alexander Solschenizyn, Mario Vargas Llosa oder Patrick White.
Überblicke sind umso schätzenswerter je weiter und schärfer sie sind. Der betagte Autor hat seine Wahl nicht nur aus akademischen Gesichtspunkten treffen müssen, sondern er hat das XX. Jahrhundert erlebt, und in seine Auswahl fließen 60 Jahre Forschung. Ihm zu widersprechen wird nicht ganz leicht sein. Dass er mit diesem Buch zugleich das Konzept der Globalisierung wahrnimmt, dürfte und sollte das Interesse an seinem Überblick erhöhen. Der Band Strelkas erspart niemandem das Lesen der Hauptwerke, aber dass bereits Übersetzungen dieses soeben erschienenen Literatur-„Kompasses“ aus Tübingen in Arbeit sind, beweist das grenzüberschreitende Gewicht dieses Werkes.
In einer Welt der Zusammenbrüche, der universalen Unsicherheit (ob ethischer, wirtschaftlicher, kultureller Natur), in einer Welt scheinbarer Zukunftslosigkeit auf etwas Gemeinsames hingewiesen zu haben, das allen besprochenen Autoren eignet, die unabhängig voneinander schufen, aber zu ähnlichen Folgerungen kamen, hat etwas Besonderes, geradezu Mystisches. Ohne Hölderlins ...wo Gefahr ist“, zu bemühen , fällt auf, dass Strelka in jedem der angeführten Dichter (die meisten haben den Nobelpreis bekommen und Llosa bekam ihn, lange nachdem das Buch veröffentlicht wurde) die Anstrengung zur Aufhebung des drohenden Chaos nachweist. Es ist also etwas Gemeinsames, was die Weltteile verdunkelt. Dass Strelkas Spürsinn damit zugleich der altägyptischen Forderung nach "Maat" entspricht (dieser Begriffes deckt sich mit Weltgerechtigkeit und Daseinsharmonie), deren Garant einst der Pharao war, wird unübersehbar. Das Verdienst in diesem Zusammenhang zu stehen, verleiht dem Buch eine ungewöhnliche Bedeutung und rechtfertigt seinen Platz in jeder Bibliothek.
Schade nur, dass ein Werk, das so viel Mühe ersetzt, dem Lektorat nicht mehr Mühe wert war. So nistet der Zeit Dämon auf seine Weise auch in diesem Geschenk an den Leser.

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