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Donnerstag, 29. April 2010

Sprch, Dnkn, Wrklchkt: Neue Essay-Formen von Stefan M. Seydel

Dieser Mann bringt neue Formen des Essays ins Gerede: Bei seiner "Antrittslese" als neues Mitglied des PEN-Clubs Liechtenstein trat er auf die Bühne und den Beweis an: Ja, in Vaduz gibt es intellektuelle Vorreiter und nicht bloß kriminelle Banken oder Banken für Kriminelle, was ja nicht dasselbe ist, aber sich auf jeden Fall gut anhört und zum Selberdenken reizt.  Zum Selberdenken reizte am 25. April im Schlosskeller zu Vaduz auch Stefan M. Seydel, und zwar schon mit dem Titel seines knapp einstündigen und sehr kurzweiligen Essays:
"Sprch, Dnkn, Wrklchkt". Wer sie auseinander nimmt, die Bestandteile unserer guten alten Sprache, und sie neu wieder zusammen setzt, hat mehr getan als der traditionelle Mechaniker des Deutschunterrichts, manchmal sogar mehr als ein lyrischer Schöngeist mit eingetrockneten Missverständnissen im Hirn.

Sprache, Denken und Wirklichkeit haben ja oft, aber leider nicht immer miteinander zu tun. Und das zeigt sich in Vaduz immer wieder aufs Schönste. Wir sprachen (beim Essen und auf dem Heimweg durchs Dunkel des Villenviertels von Schaan oder am nächsten Morgen beim Frühstück durchaus bilateral) Da war ich jetzt nicht zum ersten Mal va-dutzt. Was für ein fröhlicher, gut gelaunter, nüchterner und sprachbesoffener Mensch voller Ideen und technischer Neugier! Kritisch, aber auch lebensfroh und intelligent ist er, und auch wenn´s weh tut: Meistens hat er Recht. Zumindest wenn er feststellt, dass die Entwicklung der Medien und der Kommunikation das Sprechen und Schreiben verändert. Jedenfalls hat er einen Internet-Sender, bloggt und berichtet von überall in Europa, wo was los ist, als Fernseher, Nahdraufgucker, Radiot und Textant und Analyst - nicht für die Börse, sondern fürs Hirn: er analysiert Wrklchkt und unseren Umgang damit.

Z.B: attestierte er mir, der ich meinen neoliberalen Bruder kritisiere wegen seiner Angriffe auf den öffentich-rechtlichen Rundfunk (sein Argument: Rundfunk ist nur zum Geldverdienen da), eine große Ähnlichkeit mit meinem bösen Bruder, weil ich meine: Rundfunk hat eine journalistische und eine Bildungsaufgabe, aber Journalismus muss bezahlt werden - auch zum Beispiel für gute Blogger. Ok, ich rede zu viel von Geld, weil ich´s nicht habe. Er hat´s und redet daher aus gutem augustinischen (Hinter)grund schlecht darüber. Ich gönne uns das von Herzen.

Stefan hat´s mit Veränderung, und dafür hat er ein gutes Auge und scharfe Ohren. Deshalb habe ich auch vorgeschlagen, seinen Essay beim Essaywettbewerb von SWR2 einzureichen, der gerade läuft. So wegwerfend, wie er seine Textblätter in Vaduz behandelte, möchte ich nämlich seine Sprachkunst nicht behandelt wissen. Da kann man noch viel lernen, da kommt noch einiges auf uns zu. Das würde ich gern exemplarisch auf größerer Bühne geehrt und gefördert wissen (auch wenn´s leider Geld dafür gibt. Das könnte er ja spenden für einen guten Zweck, etwa einen weniger privilegierten, aber doch nicht weniger begnadeten Kollegen vor Hartz IV zu bewahren).
Nein, im Ernst und auch ganz ernsthaft im Spaß: Der Mann trägt zwar Hosen wie Müllwerker, hat aber alles andere als Müll zu bieten. Als philosophisch-komödientisches Gesamtkunstwerk erinnert er mich irgendwie an die Cafeteria der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, die immerhin ein Preisträger der Biennale von Venedig eingerichtet hat: Ein cleveres Verwirrspiel, ein Vexier- und Versteckspiel mit Wahrnehmung und Ausdruck, ein unernst wirkendes Stück Gebrauchsdesign, hinter dem sich tiefere Einsichten auftun. - Voilá!

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