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Donnerstag, 29. Mai 2008

Schwarzer Krimi aus Katalonien

SWR2 Buchkritik

Pablo Tusset: „Im Namen des Schweins“. Roman

Roman“. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a.M., 565 S., 19,90 €
© Widmar Puhl (Länge: 4´30)
Hauptkommissar Pujol aus Barcelona soll kurz vor der Rente noch einen unappetitlichen Mordfall aufklären: Die örtliche Polizei eines abgelegenen Pyrenäentals hat im noch abgelegeneren Schlachthof die fachgerecht zerlegte Leiche einer Frau gefunden. Kopf und Hände liegen in einer Plastikschale, und im Mund steckt ein Zettel mit der Aufschrift:
IM NAMEN DES SCHWEINS. So der ungewöhnliche Titel eines ungewöhnlichen Kriminalromans des Katalanen Pablo Tusset. Der Kommissar kommt nicht recht weiter; sein Problem und das eigentliche Thema des Buches sind Menschen, die ein bösartiges System aufrecht erhalten. Sie decken einen Mörder, weil sie davon auf ganz legale Weise profitieren. Zitat:
Es sind die Leute, die eine lange Spur an Demütigungen und verletzten Gefühlen hinter sich herziehen, die aber niemand zur Anzeige bringen kann, weil sie nie das Gesetz übertreten. Obwohl sie unsere basalen Vorstellungen von Menschlichkeit mit Füßen treten. Womöglich ist es also nur ein Prozent der Bevölkerung, denkt der Kommissar, das die restlichen 99 Prozent dazu zwingt, im Leben den anderen Menschen zu misstrauen. Mehr noch: Durch sie wird jede Form der Utopie unrealistisch. Zumindest, wenn sie auf der Voraussetzung beruht, dass der Mensch gut sei.
Hier kommt das berühmte Triptychon „Der Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch ins Spiel. Dessen „Paradies“ zeigt auch die Vertreibung daraus; seine „Welt“ steckt voller Dämonen und seine Hölle voller angeblich guter Menschen. Wie bei Bosch ist bei Tusset nichts nur so, wie es auf den ersten Blick aussieht. Daher tragen seine Kapitel und Schauplätze die Titel der drei Teile des Gemäldes: Die „Welt“ ist Barcelona, wo Kommissar Pujol die Ermittlungen leitet, das „Paradies“ New York, wo sein Assistent und Ziehsohn „P“ eine scheinbar unschuldige Liebesgeschichte erlebt. Doch schon in dieser Parellhandlung zeigt P eine dunkle gewalttätige Seite und schlägt einen Betrunkenen grundlos zusammen.
„In der Hölle“ schließlich ist die nähere Umgebung des Tatorts: Ein düsteres, isoliertes Pyrenäendorf ohne Kinder und voller kaputter Typen. Die Graue Eminenz, die ohne Gesicht und Namen bleibt, ist der einzige Arbeitgeber hier: der Besitzer des Schlachthofes und aller Kneipen. Er fährt einen Porsche mit goldenen Felgen und schreibt seltsame Gedichte.
Eines stand kurz vor der Tat in der Zeitung und beschreibt ein Menschenopfer. Der unvollständige Schluss-Vers, das findet der Kommissar heraus, würde komplett durch die Worte „im Namen des Schweins“. Das Schwein steht in Spanien für den Teufel. Der so genannte „Besitzer“ ist also mehr als verdächtig. Doch Pujol fehlen Beweise. Um die Mauer des Schweigens im Dorf zu durchbrechen, lässt er sich überreden, P, frisch aus New York zurück als verdeckten Ermittler einzuschleusen.
Der Motor wird beim Heranfahren an das mit Farbe verschmierte Straßenschild gedrosselt: San Juan del Horlá. Die Straßenlaternen beleuchten die feuchten Hausfassaden. Sie biegen in ein langes, abschüssiges Gässchen, drehen und halten an. Ein Seufzen des Motors ist zu hören. Der Busfahrer fragt mit lauter Stimme P, der noch in seinem Sitz hängt: „Sind Sie sicher, dass Sie nicht lieber mit mir zurückfahren wollen?“
P steht auf und antwortet: „Danke schön: Ich habe einen Knoblauchzopf im Gepäck…“
Der transsylvanische Kutscher lacht. Man hört das Knarren der sich öffnenden Türen und P steigt mit seiner Tasche in der Hand aus.
Langsam gewinnt der verdeckte Ermittler das Vertrauen der Dorfbewohner und wechselt dabei mehr und mehr die Seite. Als er eine Prostituierte erschlägt, kommt es zu keiner Anzeige. Der „Besitzer“ deckt ihn offenbar als jemanden, der ihm noch nützlich werden kann. In geradezu kafkaesker Verschiebung des Blickwinkels entwickelt sich eine Geschichte der Korruption.
Kommissar Pujol ahnt nichts, geht fröhlich in den Ruhestand und stirbt bei einem blöden Verkehrsunfall. Wegen des Mordes im Schlachthof werden nur ein paar Schläger verhaftet, mit denen P einmal Ärger hatte. Der Hauptverdächtige wird nicht einmal verhört.
Dichte Atmosphäre, Lokalkolorit, brutaler Realismus und eine Prise Humor zeichnen diesen Roman aus. Für einen Krimi bleiben zu viele Motive unklar, aber gerade das ist ja im Leben öfter so: Die meiste Menschen wissen nicht so genau, was alles in ihnen steckt. Und dass immer die Guten gewinnen, das gibt´s ja doch bloß im Märchen.
Dieses Buch bürstet Klischees innerhalb der Gattung „Krimi“ einfallsreich gegen den Strich, ohne zynisch zu werden. Beste Unterhaltung auf hohem Niveau: Das ist belebend ungewöhnlich.

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