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Mittwoch, 29. August 2018

Meisterwerke meisterlich interpretiert: Die Gaechinger Cantorey beim Musikfest Stuttgart

Die Gaechinger Cantorey mit Solisten und Dirigent
Auftakt zur Konzertreihe "Sichten auf Bach" beim Musikfest Stuttgart mit Hans-Christoph Rademann, der Gaechinger Cantorey und herausragenden Solisten: Die Ensembles der Internationalen Bachakademide sind zu einer sehr beachtlichen Einheit von Spezialisten für Barockmusik geworden, die sich am 28. August aus der Stiftskirche auf die große weltliche Bühne im Mozartsaal der Liederhalle gewagt haben. Der Dirigent präsentierte seine Sicht auf Bach beim Thema "Krieg und Frieden" mit Meisterwerken aus Bachs Kantaten, aber auch seine Sänger und Instrumentalisten als Gesamtkunstwerk, dem auch weltberühmte Solisten nur noch ein paar Glanzlichter aufsetzen können. Jede Sängerin, jeder Sänger im 16köpfigen Chor hat Solistenqualität, und Gleiches gilt auch für das Orchester, in dem alle Musiker auf Originalinstrumenten aus dem Barock spielen. Solisten waren Lenneke Ruiten (ein glockenheller Sopran), Anke Vondung (in großartiger Alt, sie ist eine der Besten überhaupt), Nicholas Mulroy (ein lyrischer Tenor, der am besten in kammermusikalischer Besetzung zur Geltung kommt, die es hier gab) und Peter Harvey (ein kraftvoller, präziser Bass ohne Fehl und Tadel, der niemals rutscht oder schwimmt). Und alle, alle boten meisterliche Interpretationen von vier teils recht ungewöhnlichen Kantaten von Johann Sebastian Bach. Unter dem Titel "Kampf dem Satan und Friede auf Erden" stand ein Programm, das geeignet war, all das hervorragend zur Geltung zu bringen.
Kein Zufall: Die sternförmige Anordnung auf der Bühne, in deren Mittelpunkt die phantastische Michaela Hasselt an der kostbaren Rekonstruktion einer Silbermann-Truhenorgel aus der Bach-Zeit stand. Das Continuo mit diesem Instrument hat tatsächlich den ganzen Orchesterklang verändert und übernahm eine eindrucksvolle Führungsrolle im - nein, nicht bloß im Orchester, sondern im Gesamtgeschehen, quasi gleich neben dem Dirigenten. Das ganze Ensemble hat Rademann zudem einer deutlichen Verjüngungskur unterzogen und dabei zugleich offenbar ein exzellentes Händchen für Qualität bewiesen.
Der Anfang war, mit Verlaub, ein Knaller: Das Meisterwerk "Es erhub sich ein Streit" (BWV 19) schrieb der Leipziger Thomaskantor zum Michaelisfest 1726. Und es beginnt ohne instrumentales Vorspiel mit einem Chorsatz, der kriegerisch-tumultarisch, aber auch in vollendeter Kontrolle vom Kampf des Erzengels Michael gegen Satan und dessen Höllensturz erzählt. Das war mit all den Koloraturen im Wechselgesang der Männer- und Frauenstimmen so beglückend präzise und kraftvoll, aber auch so begeisternd verspielt, dass man darüber fast die großartigen Trompeten und Streicher im Tutti hätte vergessen können. Die Rezitative von Bass und Tenor, die Arien von Sopran und Tenor entfalten vor allem in den schweren langsamen Passagen ein herrliches Klangpanorama. Der Schlusschoral "Lass Dein Engel mit mir fahren" folgt dem klassischen Muster der Bach-Kantaten, das im Folgenden durchaus durchbrochen wurde.
Die instrumentale Sinfonia-Einleitung zur Kantate "Gott soll allein mein Herze haben" (BWV 169) ist vor allem ein Prachtstück für die Orgel, das Michaela Hasselt perfekt meisterte. Zum zweiten fällt wie bei der nächsten Kantate auf, dass es zu Beginn keinen Chorsatz gibt, nur einen Choral zum Schluss. Hatte eine Grippewelle Bachs Chorknaben dezimiert? Niemand weiß es. Zum drittten ist diese Kantate wie geschaffen, um in Arioso, Arien und Rezitativen die wunderschöne, glasklare, in Höhen und Tiefen traumwandlerisch sichere Alt-Stimme von Anke Vondung zur Entfaltung zu bringen. Hier zeigten die Streicher, dass sie auch im Tutti leise spielen können, um solche stimmlichen Feinheiten nicht orchestral zu erschlagen.
Wie schon zuvor streckenweise in BWV 169, ist auch die folgende Kantate "Der Friede sei mit Dir (BWV 158) für eine kammermusikalische Orchesterbesetzung geschrieben. Die Begleitung lediglich durch Orgel, Oboe, Solovioline und Basso continuo tat der Wirkung der Stimmen von Lenneke Ruiten und Peter Harvey ungemein gut. Sie sangen ein wunderbares Sehnsuchtslied vom Himmel in der Bass-Arie "Welt ade, ich bin dein müde", zum Duett verschlungen mit dem als Solo-Choral angelegten Sopran. Da hört man gern über die unfreiwillige Komik im Text des Schlusschorals hinweg, wenn es heißt, das Osterlamm sei "in heißer Lieb gebraten". Es ist nämlich ein sehr schöner Choral, und sehr schön gesungen war er auch.
Mit einem festlichen Tutti im virtuosen Chorsatz beginnt die abschließende Kantate "Man singet mit Freuden vom Sieg" (BWV 149). Auch hier brillierte nach dem Chor Peter Harvey als starker, koloraturensicherer Bass, nur (aber wie effektiv!) begleitet von Orgel und Oboe. Alle Solisten zeigten auch hier eine mustergültige Textverständlichkeit. Lenneke Ruiten  glänzte mit ihrer hellen und klaren Stimme bei der Innigen Sopran-Arie "Gottes Engel weichen nie", ebenso wie Tenor Nicholas Mulroy und Anke Vondung in dem Duett "Seid wachsam, ihr heiligen Wächter" in kammermusikalischer Begleitung durch Orgel, Cello und ein phänomenales Fagott. Bach setzte an den Schluss seinen Lieblingschoral "Ach Herr, lass dein lieb Engelein", fügte aber zwischen den letzten Versen Pausen für Orgel-Akzente ein und ergänzte die bisherigen Fassungen um ein überraschendes Tutti im Schlussakkord. Der Applaus war dann mehr als verdient: Standing Ovations und Bravo-Rufe, der Lohn für einen großartigen Abend mit Bach.


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