Am
01./02. Juni spielte das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von
Philippe Herreweghe sein 9. Abo-Konzert in der Liederhalle. Im Zentrum des Abends stand Ludwig van Beethovens (einziges) großes Violinkonzert
D-Dur, so etwas wie die „Mutter aller Violinkonzerte“. Solist war
dabei Thomas Zehetmair. Der
vielfach preisgekrönte Salzburger Virtuose leitet seit dem Herbst
2016 auch das Musikkollegium Winterthur. Und was der 50jährige als Spezialist für Mozart und Paganini, der 2009 Beethovens
Violinkonzert bei Philipps Classics eingespielt hat, damit anstellte, war schlicht atemberaubend. Auch für Beethovenkenner, die dieses
schon oft gehört haben, waren überrascht von der Gefühlsintensität, Präsenz und technischen Brillanz des Solisten, der Beethovens Klavierfassung seines eigenen Konzerts als Kadenz spielte, als sei Beethoven anders nicht zu interpretieren. Die inspirierte Arbeit des Komponisten fand in Zehetmair einen kongenialen Interpreten.
Dieses Violinkonzert ist 41 Minuten lang, gilt als Prototyp seiner Gattung und hat
deren Entwicklung maßgeblich beeinflusst. Das Charkteristische,
damals Neue ist die komplexe Verbindung von Einflüssen des
Virtuosenkonzerts mit sinfonischen Elementen. Es war aber den meisten
Solisten zu schwer und bot ihnen gleichzeitig zu wenig Gelegenheit,
als Virtuose zu glänzen. Unglaublich, aber histofisch wahr. Aber seit Zehtmair gelten andere Maßstäbe.
Mit
diesem Konzert begann übrigens auch die späte Freundschaft zwischen Schumann und
Joseph Joachim. Der berühmte Geiger spielte es im Mai 1853
beim Niederrheinischen Musikfestival in Düsseldorf, das Schumann
mitgestaltete. Joachim regte an, Schumann möge doch auch so etwas
für Violinisten schreiben. Und tatsächlich ließ sich der dadurch
zu seiner Fantasie für Violine und Orchester op. 131 und dem
Violinkonzert WoO 1 anregen.
Eingerahmt
wurde Beethoven durch die „Manfred“-Ouvertüre und die Sinfonie Nr. 2
C-Dur von Robert Schumann. Die
Ouvertüre zur Schauspielmusik zu Lord Byrons dramatischem Gedicht
„Manfred“ aus dem Revolutionsjahr 1848 leitete den Abend ein,
obwohl sie ein Spätwerk ist. Denn sie zeigt eindrucksvoll die starke
literarische Prägung Schumanns durch seinen Vater, der Buchhändler
war. Sie ist hier besonders deutlich
zu hören.
Schumanns Sinfonie Nr. 2 C-Dur bildete den Abschluss. Die Suche des
Komponisten nach der „Wahrheit des Ausdrucks“ hat seine Frau
Clara Wieck hier besonders geliebt, „weil ein kühner Schwung, eine tiefe Leidenschaft darin ist, wie in keinem anderen von Roberts Werken". Es entstand 1844 mitten in einer Depression, durch die sich der Komponist aber noch einmal zurück ans Licht kämpfte.
Der
Dirigent war Philipp Herreweghe aus dem belgischen Gent (Jahrgang
1947). Der studierte Musiker und Psychiater gilt als vielseitiger
Spezialist für historische Aufführungspraxis und wurde mit
zahlreichen Auszeichnungen geehrt. Seit 1997 ist er Hauptdirigent der
Königlichen Philharmonie von Flandern und ein gefragter Gastdirigent
– unter anderem beim Mahler Chamber Orchestra in Berlin, dem
Gewandhausorchester Leipzig und dem Concertgebouw-Orkest Amsterdam.
Seine Interpretation von Beethoven und Schubert zeigte Seelenverwandtschaften. Nach einigen Minuten irrituerenden arhythmischen Gefuchtels zu Beginn der Mannfred-Ouvertüre zeigte sich, dass der Verzicht auf den Taktstock Sinn hatte: Herreweghe hat unglaublich sensibel sprechende Hände.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen