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Sonntag, 3. Juli 2016

Barock-Metamorphosen mit Gautier Capucon

Innige Einheit: Gautier Capucon und sein Cello (Foto: Gregory Batardon)
Die Ludwigsburger Schlossfestspiele waren am 30. Juni auf Exkursion im Theaterhaus Stuttgart - mit dem Cello-Weltstar Gautier Capucon, dem Stuttgarter Kammerorchester und Christian Muthspiel, dem österreichischen Hans-Dampf-in-allen-musikalischen-Gassen (Dirigent, Posaunist, Pianist, Jazzer, Komponist). Das Gastspiel hatte Methode, ist doch das Theaterhaus der Landeshauptstadt mit diversen Festivals ein Mekka zeitgenössischer Musik. Das derzeit laufende ("Der Sommer in Stuttgart") hat allerdings schon am Eröffnungstag ein Konzert mangels Interesse absagen müssen, und  das hätte eine Warnung sein können: Der Saal war halb leer, und das ließ sich kurzfristig nicht mehr ändern. Die Leute hören halt gern den französischen Cello-Star Gautier Capucon und auch Barockmusik, aber offenbar weniger gern Christian Muthspiel und Zeitgenössisches von den Briten Benjamin Britten (1913 - 1976) und Michael Tippett (1905 - 1998). Das musikalische Niveau des Abends und das lautstark applaudierende Stammpublikum des Stuttgarter Kammerorchesters konnten auch daran nichts ändern.
Dabei widersetzte sich das Orchester virtuos der Fragmentierung durch Brittens "Präludium und Fuge für 18 Streicher op. 29", eine Komposition, die sich anhörte wie ein erweitertes Einspielen mit zögerlichem Auftakt. Solist, Dirigent und Orchester  wuchsen über sich hinaus bei der folgenden Uraufführung von Muthspiels "A Serious Game, Konzert für Violoncello und Kammerorchester, basierend auf der Cellosuite I, BWV von Johann Sebastian Bach". So steht´s im Programm, und so bestätigte sich einmal mehr die Erfahrung: Je länger der Titel eines Stücks Neuer Musik, desto fragwürdiger der Inhalt. Selbst die großartigen Musiker konnten dabei nur einen Achtungserfolg herausholen.
Muthspiel erzählte vorab die hübsche Geschichte, dass die Posaunenfassung der Bachschen Cellosuite seit Jahrzehnten zu seiner täglichen Übungsroutine gehöre, und hatte auch zu Beginn ein paar gebrochene Zitat-Takte eingebaut, die an das Original erinnern. Dennoch kam das intensiv dialogische, respektlos verspielte, teilweise verjazzte und virtuos gespielte Werk auch in den temperamentvollen Phasen nicht wirklich an. Wie zum Trost für geplagte Ohren dann eine besonders innige Solo-Zugabe mit bekannten Melodien.
Das Gefälle zwischen der programmatischen Metamorphose barocker Musik und den Folgen moderner "Anverwandlung" zeigte nicht zuletzt nach der Pause der unmittelbare Vergleich dem Konzert für Violoncello, Streicher und Basso continuo a-Moll von Antonio Vivaldi (1678 - 1741). Einfach fabelhaft. Ebenso wie das Concerto grosso F-Dur von Arcangelo Corelli (1653 - 1713), dem Tippets "Fantasia Concertante über ein Thema von Corelli" folgte - durchaus schöne Klangteppiche mit harmonischen Auflösungen zu einem Motiv aus eben diesem Concerto grosso, aber eben nur ein Thema daraus. Die Frage muss erlaubt sein, wozu das gut sein soll. Auch Tippett kann im direkten Vergleich mit dem Reichtum des Originals nur verlieren; da wäre es für Werk und Komponist vorteilhafter gewesen, es ohne Zusammenhang oder in einem anderen zu spielen.
Als "geplante Zugabe" kündigte Muthspiel das abschließende "Concerto in D" von Igor Strawinsky (1882 - 1971) an. Nun ja - es ist eine Art Salonmusik, ein zerfledderter, gegen Ende im Rondo und Allegro jazzig aufgemotzter Walzer. Brav gespielt, doch in meinen Ohren kein Highlight im reichhaltigen Schaffen des Komponisten.
Muthspiel hat sich durchaus etwas gedacht bei der Zusammenstellung des Programms, aber mit seinem eigenen Beitrag die recht hohen Erwartungen an Metamorphosen (Verwandlungen) barocker Vorbilder ebenso enttäuscht wie mit Britten und Tippett. Der Mangel betrifft nicht die handwerklichen Fähigkeiten der Musiker bzw. der Tonsetzer oder ihre Phantasie, sondern deren Ergebnis. Solche Mischungen sind halt fürs Publikum selten der süffige Cuvee, der sie in den Augen und Köpfen ihrer Schöpfer sein möchten.



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