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Sonntag, 2. Februar 2014

Von meinem Bücherbord

Krankheit kann auch ihr Gutes haben und ist gelegentlich umständehalber kaum von Faulheit zu unterscheiden. So war es mit meinem "Kreativurlaub" zum Jahresende 2013: Drei Wochen war ich auf mich selbst und das Lesen zurückgeworfen - wunderbar. Denn ich hatte diverse kleine Operationen eingeplant und auch alle erledigt. Nur mit den vielen Kontrollbesuchen bei Ärzten und Kliniken hatte ich nicht gerechnet. Und auch nicht, ehrlich gesagt, mit den anhaltenden Schmerzen und Behinderungen im Alltag durch die Folgen der ambulanten Chirurgie. Da trat ich die Flucht in den Stressless-Sessel an und widmete mich lange liegen gebliebenen Büchern.

Anna K: "Total bedient. Ein Zimmermädchen erzählt" (Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, 221 Seiten, 16,99 €) ist eine ziemlich schonungslose, aber dennoch unterhaltsame Sozialreportage von unten. Wie es zugeht beim Bettenmachen und in der Hotel-Hierarchie, hat die Autorin wirklich gut beschrieben. Und sie bleibt aus guten Gründen anonym, denn sonst müsste sie Ärger befürchten - auch wenn sie inzwischen das Fach gewechselt hat.
Von primitiver Anmache und arbeitsrechtlich fragwürdigen Abmachungen erzählt sie, von Akkordarbeit und miesen Löhnen, von Zicken an der Rezeption mit scheinheiligem Lächeln nur für zahlende Gäste, von knauserigen und großzügigen Tringeldern und dem, was dahintersteckt. Aber auch von der Kameradschaft unter den Putz- und Dienstsklavinnen der Beherbergungsbranche und von der Tasse Kaffee, die zur Gelegenheit für Seelsorge und
Gewerkschaftsarbeit wird.
Wer sich auch nur eine Spur für die stets freundlichen Menschen interessiert, die im Hotel für uns auf- und hinter uns herräumen, den Zimmerservice erledigen und doch meistens unsichtbar bleiben, sollte dieses Buch unbedingt lesen! Das ist kein Schlüsselloch-Report, sondern ein längst überfälliger Blick hinter die Kulissen potempkin´scher Dörfer weiblicher Arbeitswelten.



"Schulden. Die ersten 5000 Jahre" von David Graeber (Klett-Cotta Verlag Stuttgart 2012, 600 Seiten, 16,95 €) ist eine gnadenlose Abrechnung mit den Formen von Finanzsystem und Wirtschaftspolitik, die uns seit 2008 die große Krise bescheren. Der ehemalige Yale-Antrhropologe und bekennende Anarchist lehrt heute am Goldsmith-College in London, der Hauptstadt verfehlter Banken- und Börsenideologie. Er gilt als Vordenker der bankenkritischen Occupy-Bewegung, und seine zentrale These lautet: Schulden sind das Normalste auf der Welt, aber der gewalttätige Zwang, sie um jeden Preis zurückzuzahlen, ist moralisch, politisch und historisch gesehen ein Verbrechen. Vor allem der Zinswirtschaft hat Graeber den Kampf angesagt, weil sie gewalttätig ist und zu Sklaverei führt.
Alle großen Religionen haben Zinsen verboten oder stark eingeschränkt. Trotzdem kam das Übel immer wieder zurück, weshalb schon im alten Mesopotamien und Ägypten alle 30 Jahre sämtliche Schuden erlassen und alle Sklaven befreit wurden. Bloß ein paar neuzeitliche Geld-und Finanzideologen haben alles über Bord geworfen, was für die Menschheit 5000 Jahre lang befreiend und auch wirtschaftlich nützlich war. Vom Mythos Tauschhandel über Geld und den Gold-Standard bis zum Derivatehandel am Computer: Die Geschichte der Schulden ist die Geschichte eines Irrtums über das Wesen von Leistung und Gegenleistung. Wer es noch nicht wusste, hier kann er nachlesen, warum: Zins und Zinseszins sind eine Perfidie ohne Zukunft.

"Salamander" von Jürgen Lodemann (Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen 2011, 384 Seiten, 22 €) ist ein Roman über Freiburg, über die Liebe und die Freiheit und außerdem ein ganz veritabler Krimi. Wieso?
Eine schöne Studentin, die der betagte Schriftsteller Harry Holterhoff in Freiburg bei sich wohnen lässt, heißt Undine und ist genau das, was die Sage von Wesen dieses Namens behauptet: ein Zwitter, ein "SheMale" oder "LadyBoy". Außer dem Autor sellbst hat sie zwei Verehrer: der eine mit türkischer, der andere mit US-Herkunft. Als der eine den anderen ermordet, übernimmt die Bundesanwaltschaft. So weit der Krimi.
Im Weiteren geht es um Sexualiät, um eine Freiheitsoper von 1848, um die Einmischung des alten Schriftstellers in Politik, um Stalking und Terrorismus, aber auch um den Tod und eine Stadt, die zwar am Rande des Schwarzwaldes liegt, aber nicht am Rand der Welt.
Ich-Erzähler Holterhoff bringt seine Geschichte mit viel Humor und Lebenserfahrung an den Leser. Dazu gehört vor allem eine ganz (un)gehörige Portion Misstrauen gegenüber geheimen und zentralen Ermittlungsbehörden, eine herrliche Widersetzlichkeit des freien Geistes. Leute, so wünsche ich mir zornige Alte!

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