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Sonntag, 10. Oktober 2010

Bei Marion Poschmann sitzt jedes Wort

Marion Poschmann ist als Lyrikerin handwerklich außerordentlich versiert und formbewusst, gehört z.B. zu der Handvoll Autoren & Autorinnen deutscher Zunge, die heute noch wirklich überzeugende Sonette schreiben können, in originellen Endreimen, aber auch experimentell mit anderen Versformen und in freien Rhythmen. 

Rhythmen sind bei ihr aber stets mehr als bloß gebrochene Zeilen, sondern wiederholbare und erkennbare musikalisch-mathematische Einheiten (nur diese erkenne ich als Rhythmen an. Was ein Musiker nicht spielen oder singen kann, hat eben keinen Rhythmus).

Ein solches Sonett ist hier exemplarisch zitiert.


  
vage Aussichten

du hast mir Quallen, hast mir Bullaugen gegeben,
zwei runde Fenster in das unscheinbare Meer.
zu nah, daher zu fern. zu dicht. zu viel. zu sehr.
zu transparent. ich nahm nicht wahr, wie direkt neben

mir dieses Meer begann. ich sah die Quallen schweben,
sah ihren Körper kaum, ein blasser Sack, nicht mehr
erkennbar als ein Ding des Wassers. gläsern,leer
der blanke Hintergrund, an dem Gedanken kleben,

als käme Klarheit auf. als öffneten sich Fenster
auf das, was war, auf nichts. Erinnerungsgespenster,
zu ungreifbar, zu zart. die Blicke scheitern hier.

ein heller Wellenschlag wie ohne Oberfläche
verdeckt, was nichts ist als eine Gedächtnisschwäche,
ein schwimmendes Gesicht, schon innerhalb von mir.


Da gibt es perfekte und originelle Endreime, aber auch spannende Zeilen- und Strophenübergänge sowie großartige Bilder: Die Qualle als genaue Naturbeobachtung und zugleich Projektionsfläche für philosphische Reflexionen, die Augen als Bullauge zuzr Welt, ein „heller Wellenschlag“ etc.: Das ist wunderschön, tief und vielschichtig. 

 
Sie kann´s. Dass ich ein ganzes Kapitel Wort für Wort lesen kann, ohne etwas zum Kritisieren zu finden, ist für mich als Lyriker und Kritiker doch eine extreme Seltenheit.








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