So kennt man ihn: Witzig, manchmal frech, kurz, eine Figur wie geklaut aus den masurischen Geschichten von Siegfried Lenz ("So zärtlich war Suleiken"). Das erste Buch, das ich von ihm las, waren "Die fünfzig schönsten ungeschriebenen Romane von Konrad Salik, entdeckt von Wolfgang Brenneisen" aus der Elefanten Press Berlin (1985). Das ist Prosa vom Feinsten, mit spitzer Feder geschrieben, witzig und gebildet (voll echter Kritiker-Kommentare aus den Feuilletons von ZEIT, Spiegel, Frankfurter Rundschau, FAZ und dem SWF-Literaturmagazin von Jürgen Lodemann). So einen hätte ich gern als Lehrer gehabt. Aber ich will nicht meckern, ich hatte ihn als Freund.
Schon im August ist er im Alter von 84 Jahren gestorben. Das ist nach Günter Guben bereits der zweite in diesem Jahr, von dessen Tod ich mit ungehöriger Verspätung erfahre. Anscheinend haben Künstler (vor allem die mit Mehrfachbegabungen) keine Rezensenten, Agenten, Verlage oder Verwandten mehr, die sie wachsam begleiten und beobachten. Oder war sein Wohnort Kappeln an der Schlei einfach zu abgelegen für eine lebendige Kulturszene, in der sein Fehlen aufgefallen wäre? Ist das heute der Trend des Zeitgeistes ("Aus den Augen, aus dem Sinn")?
Wolfgang Brenneisen wurde 1941 in Tilsit geboren (heute Sowetsk bei Kaliningrad) direkt an der litauischen Grenze, wuchs in Oberschwaben auf und starb im vergangenen August in Kappeln an der Schlei. Er hat Germanistik, Anglistik und Philosophie studiert und wurde Lehrer. Bis 2002 hat er auch als Lehrer gearbeitet. Er verbrachte ein Jahr in Großbritannien und beschäftigte sich ab 1970 mit bildender Kunst. 1974/75 war er Gaststudent an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Als Künstler hatte er etliche Einzelausstellungen und zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen im süddeutschen Raum und zuletzt in Kiel. Typisch war auch hier seine Vorliebe für Mischtechniken aus Fotografie, Grafik, Collage und Text.
Seit 1984 veröffentlichte Brenneisen zahlreiche Bücher, wobei das humoristisch-satirische Element oft im Vordergrund stand. Seine Bücher erschienen u. a. bei Verlagen wie Rowohlt und Heyne. Wolfgang Brenneisen hat etliche Lyrikbände, acht Kinderbücher, neun Hörspiele und ein Theaterstück verfasst. Ein weiterer erfolgreicher Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Beschäftigung mit seiner Heimat Schwaben und der schwäbischen Mundart. Als Mitarbeiter renommierter deutscher Zeitungen verfasste er ca. 240 Artikel, darunter auch Gedichtinterpretationen für die Frankfurter Anthologie von Marcel Reich-Ranicki in der FAZ.
Oft schrieb dieser Autor lustigen Kleinkram, aber die Gruppe hat ihn auch intensiv zum Lesen angeregt und seinen Blick geweitet. Von 1988 stammt ein Gedicht von Brenneisen, das in Zeiten des Waldsterbens seine ernste Seite zeigt:
Seit August 1984 war er Mitglied einer Gruppe von Lyrikerinnen und Lyrikern, die der Dichter Johannes Poethen zu einem Seminar ins neue Stuttgarter Schriftstellerhaus eingeladen hatte. Wir lernten damals nach Poethens Art, "Gedichte zu putzen", ein ebenso einfaches wie effizientes Verfahren: Alle lesen reihum neue Gedichte vor und kritisieren sie - in der Sache knallhart, in der Form immer wertschätzend und freundlich. Wer gelesen hat, hält den Mund, bis alle anderen etwas dazu gesagt haben. Dieses Verfahren haben wir seitdem zwei Mal im Jahr bei weiteren Treffen fortgesetzt. 2020 waren diese Treffen plötzlich unmöglich und Wolfgang Brenneisen längst zu weit weg fürs Teilnehmen, in Kappeln an der Schlei. Während des ersten Pandemie-Lockdowns hatte Wolfgang die Idee, die Köpfe der Gruppenmitglieder nach Fotos als Briefmarkenserie zu gestalten. (Aus dieser Serie stammt auch das Selbstporträt oben). Ziel war es, eine Ausstellung mit diesen Dichterporträts und je einem Textblatt unter dem Titel "Tatort Schriftstellerhaus Stuttgart" zu organisieren. Das führte auch zu einem kleinen Buch, sollte uns aus der Isolation holen und aktiv in einem kreativen Projekt verbinden, aber zugleich ein trotziges, bonbonbuntes Zeichen der Lebensfreude setzen: Wir sind noch da! Jetzt ist es wieder einer weniger.





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