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Sonntag, 14. Juni 2015

Zwei Ausnahmetänzer in Ludigsburg: Akram Khan und Israel Galván

Akiram Khan und Israel Galván (Foto: Jean-Louis Fernandez)

"TOROBAKA heißt auf Spanisch so viel wie "Stierkuh"; damit spielt das gleichnamige Programm der beiden Ausnahmetänzer Akram Khan und Israel Galván, das gestern bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen zu sehen - und zu hören war. Was auf den ersten Blick ins Programm anmutet wie eine alberne, banale Wortspielerei mit Tiermythen aus Spanien und Indien, entpuppt sich als ein neuer Weg der Tanzkunst. Und ich bin so verwegen, zu vermuten: Die hat mit Spanien und Indien eigentlich gar nicht mehr viel zu tun. Da brechen zwei herausragende Tänzer und Choreographen aus ihrem jeweiligen Kulturkreis erst auf und dann aus. Das Ergebnis ist etwas Neues und hat weder mit dem spanischen Stierkampf noch mit den Heiligen Kühen Indiens viel am Hut, obwohl der Titel TOROBAKA das unterstellt.
Freilich bleiben die Wurzeln erkennbar, das macht diesen Abend und den Prozess, der darin deutlich wird, so faszinierend: Das großartige Foto von Jean-Louis Fernández (oben) bedient diese Erwartung auch, aber es fängt gerade mal eine Sekunde aus 70 Minuten Programm ein. Der Spanier (links) macht dort den Stier und der Brite bengalischer Herkunft den Torero - sie spielen also gern mit ironisch verkehrten Rollen, auch wenn Khan, der grundsätzlich barfuß tanzt, in einer Sequenz Flamenco-Schuhe über die Hände gestreift hat. Mal knallt Galván mit den Flemencoschuhen und macht die klassischen, traditionellen Tanztschritte dazu, mal löst er sie auf in einem Wirbel von etwas anderem. Das ist der nordindische Kathak, einer von sechs klassischen Tänzen Indiens, der stets barfuß getanzt wird und ebenso seinen Mythen erzählenden Ursprung in Hindu-Tempeln hat wie das javanische Schattenspiel. Aber verstehen wird ihn hierzulande niemand. Uns erzählt er nichts.
Umso freier kann sich ein europäisches Augen auf die Bewegungen der beiden Tänzer konzentrieren. Dieser Tanz ist kein Balztanz zwischen Kuh und Stier, kein Konkurrenzkampf der Mythen, kein Stück Martial Art, sondern ein intensives, fließendes Miteinander, das die Klischees und Aggressionen eines "Clash of Zivilsations" ironisierend aufgreift und meditativ auslöst. Als "zwei Mönche im Kloster des Tanzes" hat Israel Galván dieses Duett bezeichnet und gleich bekannt, von Akram Khan unendlich viel gelernt zu haben. Aber die Beziehung der beiden Künstler erscheint als kongenial und gleichberechtigt.
Nicht vergessen darf man bei TOROBAKA die Rolle der Musik und der Musiker. Der Countertenor David Azurza, die Altistin Christine Leboutte, der Percussionist und Sänger B.C. Manjunath und das Flamenco-Faktotum Bobote sind integrale Bestandteile der Inszenierung. Sie machen eine karge, eindringliche, fast sakral wirkende Musik aus Trommeln, Händeklatschen ("palmas", die man vom Flamenco kennt), einer indischen Leier und Gesängen, die an bulgarische Frauenchöre erinnern. Virtuose Trommelwirbel und harte Schläge geben den wechselnden Takt vor, die sich häufig kreuzenden Stimmen von Mann und Frau sind von einer unglaublichen Präsenz, ernst, melodiös und unverständlich: Albanisch, Bulgarisch, Spanisch, irgendein indischer Dialekt, ein Gemisch aus all dem? Egal.
Diese Musik ist eine Sprache in musikalischen Universalien, so wie Khan und Galván sich in einer Universalsprache der Bewegung ausdrücken. Das Ganze ist ein Fest für die Sinne, pure Freude an der Bewegung, gefühlsintensives Miteinander. Wunderbar. Nur schade, dass im Forum am Schlosspark höchstens zwei Drittel der Plätze besetzt waren. Das Publikum quittierte die Darbietung mit vielen Bravos, lange anhaltendem Applaus und Standing Ovations. Den anderen kann man nur sagen: Leute, da habt ihr was verpasst!


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