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Freitag, 18. Juli 2025

Muzi Li im "Haus der Musik": Musikalische Weltreise in Stuttgart

Muzi Li beim Schlussapplaus

 Am 18. Juli spielte die chinesische Pianistin Muzi Li in der Konzerteihe "Musik Pause" im Fruchtkasten am Stuttgarter Schillerplatz. Salzburg, Berlin, Venedig, Neapel, Madrid: Erst 27 Jahre alt und ausgebildet an der Musikhochschule Hanns Eisler Berlin, an der Universität der Künste Berlin und aktuell im Konzertexamen der Musikhochschule Stuttgart in der Meisterklasse von Florian Wiek, ist sie bereits überall auf der Welt zu Hause, hat zahlreiche Wettbewerbe gewonnen und Konzerte in 18 Ländern auf fünf Kontinenten gegeben. Kritiker haben die junge Frau als "Rising Star" in den höchsten Tönen gelobt, doch bis jetzt ist sie bescheiden und nahbar geblieben. Sie war schon einmal im Fruchtkasten zu Gast, der Konzertsaal platzte aus allen Nähten und sie hatte eine hörbare Fangemeinde aus der Musikhochschule mitgebracht, die zusammen mit dem Landesmuseum die Konzertreihe  veranstaltet.

Hoch konzentriert spielte sie die ursprünglich für Cembalo komponierte Sonate in A-Dur K. 301 von Domenico Scarlatti (1685 - 1757), eher eine einsätzige, doch anspruchsvolle Fingerübung zum Aufwärmen. Es fogte die Sonate in A-Dur Nr 28 op 101 in vier Sätzen von Ludwig van Beethoven (1770 - 1827). Der erste Satz "Etwas lebhaft und mit der innigsten Empfindung", der zweite "lebhaft und marschmäßig", der dritte "langsam und sehnsuchtsvoll" und der vierte "geschwind, doch nicht zu sehr, und mit Entschlossenheit" (was immer das auch heißen mag, denn das Klavier ist kein Instrument für Unentschlossene). Die Interpretation war empathisch, die Spieltechnik kraftvoll und zugleich empfindsam, die Intonation perfekt, der Gesamteindruck brilliant.

Charmant bedankte sich Muzi in fließendem Deutsch beim zahlreichen Publikum für den langen Applaus und die Bravo-Rufe. Und dann - durchaus ungewöhnlich in der durchgetakteten Reihe dieser kleinen Konzerte, gab sie eine fulminante Zugabe: Die "Spanische Rhapsodie" von Franz-Liszt. Der österreich-ungarische Komponist und Starpianist schrieb das kurze Stück für Klavier Solo 1858, inspiriert von einer Tournee im Jahr 1845 durch Spanien und Portugal. Wunderbare Musik und schwer zu spielen, aber was der Komponist und viele Kritiker als "charmante Elemente der spanischen Folklore" bezeichnet haben, ist ziemlicher Unsinn. Wer Ohren zu hören hat, erkennt die alpinen Ländler-Motive aus Österreich sofort. Die Volkstänze "Folia" und "Jota Aragonese" dagegen sind in anderen Gehörgängen zu Hause. Aber was soll´s: Wenn man so viel auf Tourneereisen unterwegs ist wie Liszt, kann einem schon mal etwas die Erinnerung verrutschen. Muzi Li kann nichts dafür, und den Zuhörern war´s egal. Da Capo!

 

 

Freitag, 11. Juli 2025

Reife Leistung: Demian Martin als Impro-Pianist im Haus der Musik

Der Pianist Demian Martin
Am 1. Juli spielte der Stuttgarter Pianist Demian Martin im der kleinen, aber feinen Konzertreihe "Musik Pause" im Haus der Musik am Stuttgarter Schillerplatz. Der 27jährige klassisch ausgebildete Pianist und Kirchenorganist studiert derzeit in der Meisterklasse von Noam Sivan, der an der Musikhochschule Stuttgart eine Professur für das seltene Spezialfach "Künstlerische Klavier-Improvisation" hat und ihm auch ermöglichte, im Rahmen des Erasmus-Förderprogramms ein Jahr lang die Improvisationsklasse eines legendären Kollegen zu besuchen: Jean-Francois Zygel vom Conservatoire de Paris. Und als ob das nicht genug der Ausbildung wäre, hat der vielseitig begabte Martin noch ein Projektstudium für Filmmusik und Sounddesign an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg absolviert.

Das Ergebnis konnte sich hören lassen: Improvisation auf Zurufe aus dem Publikum ("Nennen Sie mir drei Töne, und ich improvisiere dann etwas dazu"). Oft sind auch Genre, Stilrichtung und Thema frei wählbar, aber dafür reichte diesmal die Zeit nicht. Diese Form der improvisierten Musik stammt aus dem Theater ("Impro-Theater" oder "Theatersport" haben da Pate gestanden). Eine "Hochschule für Musik und Darstellende Kunst" wie die in Stuttgart ist sicher prädestiniert dafür. Aber eigentlich ist improvisierte Musik, vom Jazz bis zum Volkslied, schon seit Jahrtausenden da: eine Musik des Augenblicks, einmalig und ohne Noten, wiederholbar höchstens in Teilen und durch vielmaliges Hören und Auswendiglernen. Demian Martin konzertiert oft auch mit seinem Bruder Lionel, der Cello spielt und schon vor Jahren als SWR New Talent gefördert wurde.

Was hat Demian Martin denn nun gespielt? - Improvisationen mit Phantasietiteln wie "Drei Sarkasmen inspiriert von Sergej Prokofjeff", die nur eine Richtung weisen und an denen eben durch die Tonvorgaben auch das Publikum beteiligt war: "Die herrenlose Pferdefliege", "Der verbotene Regenschirm" und "Die weggelaufene Nase". Sergej Prokowjeff (1891 - 1953) litt unter dem real existierenden Sozialismus und schrieb daher eine eher böse, sarkastische Musik bis auf das populäre Märchenstück "Peter und der Wolf". Ein Geistesverwandter dürfte der futuristisch-absurde Lyriker und Kinderbuchautor Daniil Charms gewesen sein (1906 - 1942). In den Jahren 1925 bis 1939 trat er häufig bei Life-Lesungen auf, weil seine Gedichte unter Stalin nicht gedruckt werden durften. 1941 wurde er verhaftet, und während der Belagerung von Leningrad ließ man ihn wohl 1942 im Gefängnis einfach verhungern.

Nach den von Prokofjeff inspirierten Improvisationen folgten die Titel "Wasser", "Luft", "Feuer" und "Erde" als Charakterstücke nach den "Vier Elementen" im Stil von Maurice Ravel (1875 - 1937). Der neben Claude Debussy bedeutendste französische Impressionist schrieb viele Naturstücke. Sein bekanntestes Werk ist der Boléro".

Demian Martin wurde 1998 in einer Stuttgarter Musikerfamilie geboren. Er improvisiert und komponiert, seit er als Sechsjähriger mit dem Klavierspielen anfing. Heute gehört die Improvisation auf Zuruf ebenso selbstverständlich zu seinen Auftritten wie Konzertmoderationen und kabarettistische Formate. Sehr amüsant das Ganze. Das fand nicht nur der Künster selbst, sondern auch eine Schulklasse des (naturwissenschaftlichen!) Lise-Meitner-Gymnasiums aus Böblingen oder reifere Semester wie der Schreiber dieser Zeilen. Die technische Brillianz des Pianisten Martin war nicht weniger beeindruckend wie sein stilistisches Einfühlungsvermögen, seine wache Reaktion auf das Publikum und sein musikpädagogisches Talent. So sollte Musikunterricht aussehen! Der Mann hatte erkennbar Spaß an seiner Arbeit, und entsprechend begeistert war dann auch der Applaus.

Samstag, 5. Juli 2025

Miyu Matsumoto interpretiert Schubert meisterhaft

Miyu Matsumoto
An diesem Wochenende war schon vor Beginn viel los. Doch trotz der populären Jazz Open auch auf dem nahe gelegenen Stuttgarter Schlossplatz war der Fruchtkasten neben der Stiftskirche zur Musik Pause um 12.30 Uhr rappelvoll. Die Japanerin Miyu Matsumoto spielte auf dem historischen Schiedmayer-Konzertflügel aus den goldenen Zeiten der Stuttgarter Klavierbauindustrie Werke von Olivier Messiaen (1908 - 1992) und Robert Schumann (1810 - 1856). Zu hören waren aus den Preludes von Messiaen Nr. I "La Colombe" (Die Taube) und Nr. III "Le Nombre léger" (Die leichte Zahl). Es folgte Schumanns Klaviersonate Nr. 2 g-Moll, ein Meisterwerk der Romantik in einer wahrhaft meisterhaften Interpretation.

War die nach Angaben des Komponisten "natürliche" Klangfarbenmalerei noch eine angemessen kurze Fingerübung aus der Feder des zeitgenössischen Komponisten aus dem französischen Avignon, so wurde sie doch von Matsumoto nicht als gering abgetan. Sie zeigte schon hier viel Fingerspitzengefühl für Rhythmik und Klangfarben sowie absolute technische Präzision. Seine Klaviersonate g-Moll hat Robert Schumann selbst einmal ein "ziemlich wildes Stück" genannt. Doch die an Bach geschulte Meisterschülerin von Florian Wiek von der Stuttgarter Musikhochschule ritt diesen Tiger mit Bravour. Schon das Tempo-Notat zum ersten Satz ist ungewöhnlich ("So rasch wie möglich"). Es folgten ein getragener, kurzer zweiter Satz ("Andantino"), ein Scherzo im dritten Satz (Sehr rasch und markiert") und ein furioses Rondo zum Abgang im vierten Satz ("Presto"). Ein souveräner Vortrag, begeisterter Applaus.

Miyu Matsumoto wurde 2005 in Japan geboren und debütierte schon als Schülerin mit dem Klavierkonzert Nr. 1 von Johann Sebastian Bach. 2023 war sie Organistin in einer Kirche in Nara (Japan) und nahm an dem dem Meisterkurs "Virtuoso & Belcanto" in Lucca teil, wo sie u.a. Unterricht bei Peter Nagy, Till Fellner und Riccardo Cecchetti erhielt. 2024 spielte sie ein Klavierkonzert als Solistin in Kyoto und erhielt ein Stipendium bei der Internationalen Sommerakademie Radolfzell. Seit März 2025 studiert sie bei Professor Florian Wiek und erhielt im April den Platinum Award der Brahms International Online Competition. Ich glaube, von dieser Pianistin werden wir noch öfter hören.