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Samstag, 11. November 2017

Don Quijote bei den Stuttgarter Buchwochen


Wolfgang Tischer (links) und Lilian Wilfart lesen aus "Don Quijote"
Das Buchcafé war gut besucht
"Spanien ist das Gastland der 67. Stuttgarter Buchwochen, die vom 9. November bis zum 3. Dezember 2017 dauern. Aus diesem Anlass lasen Lilian Wilfart und Wolfgang Tischer aus »Don Quijote von der Mancha« von Miguel de Cervantes Saaverdra – neu übersetzt und herausgegeben von Susanne Lange. Die gesamte Lesung war live auf literaturcafe.de und auf YouTube zu sehen. Und immer noch kann man auf Tischers Website literaturcafé.de die berühmte Windmühlenszene hören und sehen." (Leicht aktualisierter O-Ton literaturcafé. Tischer ist übrigens im Vorstand des Vereins Stuttgarter Schriftstellerhaus und einer der bekanntesten Buchblogger Deutschlands.)
So weit, so gut. Ich bin als alter Hispanist und Autor eines SWR-Features über 400 Jahre Don Quijote natürlich ganz begeistert über so viel Aufmerksamkeit für ein Buch, das für mich immer noch zu den besten der Welt gehört. Denn was ist dieser Roman nicht alles: Klassiker, Abenteuerroman, Spiegel Spaniens zu Beginn des 17. Jahrhunderts, Sittenbild, Satire, Schelmenroman, aber vor allem immer ein Buch über die Notwendigkeit von Idealen für die Seelenhygiene - und die Gesellschaft.
Klar, als weltfremder Büchernarr und Idealist kriegt Don Quijote ständig und nicht zu knapp auf die Mütze (oder wie Adrea Nahles damenhaft sagen würde, "auf die Fresse"), aber das geht der Maus Jerry mit dem fiesen, doofen, also Trump-tauglichen Kater Tom bei den Comics von "Tom und Jerry" genauso. Es ist der alte Reflex von Kasperle und Krokodil: ohne Klatschpritsche geht es nicht - weder wenn´s komisch sein soll, noch wenn´s eine erziehersche Wirkung haben soll. Wenn alle über den gewalttätigen Bösen lachen, kann man ja nicht von "Gewaltverherrlichung reden, schon eher über Aufklärung.
Die Welt hat im Jahr 1605 ebenso wenig wie 2017 auf einen gewartet, der sie mit seinen angeblich veralteten Idealen retten möchte. Räuber, Gauner und Ausbeuter lachen sich heute wie damals tot über einen, der des Weges kommt wie der Ritter von der traurigen Gestalt auf einem klapprigen Gaul, seinem fetten Knappen und seiner lächerlichen Rüstung, um ihnen zu zeigen, wo der Bartel den Most schon längst weggesoffen hat. Und deshalb stehen die Kirche, staatliche Autoritäten und gesellschaftliche Konventionen ganz generell in diesem Buch im Visier einer grandiosen Satire.
Seltsam, es ereignet sich ein Wunder der seltenen literarischen Art: Der Depp vom Dienst wird in der Wahrnehmung des Lesers zum reinen Toren und heimst alle Sympathien ein. Er steht nämlich nach jeder Niederlage unverdrossen wieder auf und macht weiter. Unglaublich bei dem, was da abgeht. Der Mann zeigt Standing als Träumer. Selbstverständlich ist auch das ist ein Märchen, denn die Welt ist ja nicht so, dass sie derartige Menschen für ihr Verhalten belohnen würde. Auch bei uns landen ja Idealisten und Träumer im Knast, in der Schuldenfalle, in der Psychiatrie oder in der Obdachlosigkeit, jedenfalls ganz unten. Aber es ist ein schönes Märchen, vielleicht gerade deshalb das schönste, das ich kenne. Denn es zeigt, frei nach Loriot: Ein Leben ohne Ideale und Zivilcourage ist möglich, aber sinnlos. Es mag profitabler, ehrbarer und erfolgreicher sein, doch es wäre erbärmlich.


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