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Freitag, 1. September 2017

Von der Freiheit der Christenmenschen

Das Junge Stuttgarter Bach-Ensemble (JSB) in Aktion
Musiker aus 29 Nationen haben mit der Johannespassion II von Johann Sebastian Bach das Musikfest Stuttgart eröffnet.

Und es war wirklich ein Fest. Die schöne gotische Stiftskirche war gerammelt voll trotz des weltlichen Weindorfs gleich nebenan. Sänger und Musiker hat der Akademieleiter Hans-Christoph Rademann aus den früheren Meisterklassen der Stuttgtarter Bachwochen ein zweites, ein jugendliches Festspielensemble neben der Gaechinger Cantorey geformt. Chor und Instumentalisten bilden das Junge Stuttgarter Bach Ensemble (JSB) und wurden als ständiger Klangkörper in das Festival integriert. Die Solisten waren mit Ausnahme des Evangelisten Werner Güra sämtlich Absolventen der diesjährigen Meisterkurse, die dem Musikfest vorausgehen. Was da in drei Wochen während der Proben gecastet wurde, verdient allen Respekt. Großartige Leistungen erbrachten nicht nur Chor- und Orchester, sondern auch und gerade diese Solisten, allen voran Rebecca Genge (Sopran), Arthur Canucu (Bass), Florien Sievers (Tenor) und Viola Blache (Sopran). Unter diesen noch weitgehend unbekannten Sängern finden sich große Stimmen.
Den Anstoß für die Auswahl der Johannespassion, so ganz außerhalb der Passionszeit, gab der Choralvers "Durch Dein Gefängnis, Gottes Sohn, muss uns die Freiheit kommen". Das passt. Denn unter dem Thema "Freiheit" tauchen rund 50 Veranstaltungen das diesjährige Musikfest der Internationalen Bachakademie Stuttgart in ein Vollbad aus Klängen, Interpretationen und Geschichten rund um das Werk von Johann Sebastian Bach. Die zweistündige zweite Version dieses Oratoriums ist nicht weniger anspruchsvoll als die erste, nur ein wenig kürzer und dramaturgisch, theologisch wie musikalisch stärker auf das Leiden und Sterben Jesu zugespitzt. Die emotionale Wucht vor allem der Choräle, aber auch einiger Arien mit Chor, macht es verständlich, warum auch bekennende Atheisten wie der chinesische Literatur-Nobelpreisträger Gao Xingjian diese Musik lieben. Der Schlussapplaus war denn auch überwältigend.
Eine kritische Anmerkung jedoch zur Organisation: Wohl aus Kostengründen (die Stadtkirche erspart die Miete in der größeren Liederhalle), aber auch der originalgetreu nachgebauten Bach-Orgel, die empfindlich auf Umzüge und Temperaturschwankungen reagiert, hatte sich die Festivalleitung dazu entschlossen, das teuere Instrument für diese Zeit ständig in der Stiftskirche zu stationieren, zumal die Orgel auch bei etlichen anderen Konzerten eingesetzt wird. Außerdem wurde die Johannespassion für die Kirche geschrieben und passte hervorragend hierher. Dennoch ist schon die "Restwärme" im Gemäuer ohne Klimaanlage nach einer Hitzewelle für ältere Zuhörer ebenso schwierig auszuhalten wie die harten hölzernen Sitzbänke. Da hilft auch ein Sitzkissen nur wenig gegen Rückenschmerzen, die sich nach einer Stunde unweigerlich einstellen und den Musikgenuss trüben. Das größte Risiko für derartige Großveranstaltungen, die länger als eine Stunde dauern, ist jedoch, dass es viel zu wenige Toiletten gibt. Die Besucher müssen ja teilweise auch lange Anfahrts-und Heimwege einkalkulieren. Ich hoffe aber, Intendant Gernot Rehrl und Akademieleiter Rademann finden künftig einen tragfähigen Kompromiss. Die Liederhalle verfügt ja nicht nur über hinreichende sanitäre Einrichtungem, sondern ist auch klimatisiert und könnte einen Pausenschnack bieten. Wenn´s wirklich am Geld lag, wird der eine oder andere Sponsor auf harten Kirchenbänken vielleicht schon an eine neue Spende für die Miete gedacht haben.

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