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Samstag, 27. August 2016

Musiktruhe von 1722: Silbermann-Truhenorgel für die Bachakademie

Johannes Fiedler an der Silbermannorgel

Die Stuttgarter Bachakademie hat den Nachbau einer Original-Silbermannorgel vorgestellt, die eigentlich echt ist und nicht nur eine museale Ratität, sondern auch eine klingende Sensation. Im Jahr 2013 wurden in der Schlosskapelle von Seerhausen bei Riesa in Sachsen Reste einer schwer beschädigten Truhenorgel gefunden (einer tragbaren Kastenorgel von der Größe eines Harmoniums). Anders als ein Harmonium enthält sie normalerweise einen kompletten Satz Pfeifen und hat einen völlig anderen Sound. Sie wiegt auch nicht 50 oder 100, sondern knapp 250 Kilo. Doch von der ganzen Pracht war nach kriegsbedingten Plünderungen nicht mehr viel übrig.
Bisher war nicht bekannt, dass Silbermann überhaupt jemals so ein Instrument gebaut hatte, aber Experten waren sich schnell darin einig, dass alles auf die Werkstatt des berühmten sächsischen Orgelbauers und Bach-Zeitgenossen Gottfried Silbermann deutete. Gründliche Untersuchungen des erhaltenen Materials (darunter eine Zinnpfeife, eine Taste und das Schnitzwerk auf dem Einsetzer unter der Tastatur) im Vergleich mit vollständig erhaltenen Orgeln aus dem 18. Jahrhundert durch die Orgelbauwerkstatt Kristian Wegscheider (Dresden) erbrachten schließlich den Nachweis. Der Orgelbauer Hartmut Schütz konnte das Instrument sogar genau auf das Jahr 1722 datieren.
Wieso dann die Bezeichnung "Nachbau" und nicht "restauriertes Original"? Hans-Christoph Rademann, der künstlerische Leiter der Bachakademie, der die Familie Würtz aus Künzelsau als Mäzen für den Kauf und die Wiederherstellung dieses klingenden Museumsstücks gewinnen konnte, will einfach wissenschaftllich ehrlich sein. Ursprünglich war der Stimmton des Instruments einen Ton tiefer als heute, und um das gute Stück für Konzerte in Gegenwart und Zukunft fit zu machen, wurde eine Taste hinzugefügt. 

Außerdem bekam der Blasebalg einen elektrischen Antrieb, um dem Organisten neben der winzigen Tastatur nicht auch noch die (sehr ablenkende und anstrengende) Betätigung eines Blasebalg-Pedals zumuten zu müssen.Wie ein Blick ins Innere zeigt, nimmt der fast die Hälfte des Kastens ein und muss eine Menge Kraft auf die Pfeifen bringen, um den Klang einer richtigen  Orgel zu erzeugen. Ohne Steckdose läuft also nichts; auch das ist eine Veränderung, die vom Original abweicht.
Gespielt wird zudem ohne Bass-Pedale (die hat es hier nie gegeben). Das muss die linke Hand in Verbindung mit einem Register übernehmen. Der Klang dieses Prachtstücks ist jedoch grundsätzlich der des Originals - und ziemlich überwältigend, wie der Organist Johannes Fiedler mit der Motette "Die mit Tränen säen" des Bach-Vorgängers Hermann Schein, der Sonate Nr. 8 e-Moll von Arcangelo Scarlatti und der Toccata e-Moll von Johann Sebastian Bach demonstrierte. "Für unser Orchester ist das vielleicht ein Schock", meinte Rademann schmunzelnd, "dass wir da plötzlich eine Orgel haben, die man tatsächlich hört". Dass es aber zu dominant sein könnte, befürchtet er keineswegs: "Das liegt ja an uns selber".
Der erste Einsatz der Silbermann-Truhenorgel wird am 6. September um 13 Uhr beim Musikfest Stuttgart in der Stiftskirche stattfunden. Da dirigiert Rademann in der Konzertreihe "Sichten auf Bach" die Ensembles seiner "Gaechinger Cantorey" mit Bach-Kantaten über das christliche Verständnis eines gottgeschenkten Reichtums im irdischen Leben.
Die "Musikbox des 18. Jahrhunderts" mag bescheiden aussehen, aber was sie bei entsprechend sachkundiger Behandlung hervorbringt, ist es nicht. Rademann: "Sie wird das Herzstück einer neuen Ensemblekultur aus Chor und Barockorcherster mit historischen Instrumenten". Damit das funktioniert, muss man sich aneinander gewöhnen. Dazu gehört auch Rücksicht auf die Veränderungen bei Temperatur und Luftfeuchtigkeit bei jedem Transport. Organist Johannes Fiedler, der dem Instrument "eine gewisse Mimosenhaftigkeit" bescheinigt, rät zu einer mehrstündigen Ruhepause vor dem Konzert, "damit das Holz arbeiten kann". Und dann kommt natürlich noch der Orgelstimmer. Also: Die "Gaechinger Cantorey" hat jetzt eine mobile Orgel für den eigenen historischen Klang. Aber Vorsicht bleibt die Mutter der Porzellankiste...