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Freitag, 22. Juli 2016

Musikalisch wertvolle Ausgrabung in Bad Wildbad: Die Kammeroper "Demetrio e Polibio" von Gioacchino Rossini

Gestern war wieder Premiere beim Opern-Festival "Rossini in Wildbad": "Demetrio e Polibio" aus dem Jahr 1812 mit einem unglaublich dämlichen Libretto von Vincenzina Viganò Mombelli und in einer armseligen Inszenierung von Nicola Berloffa, aber wahnsinnig schöne Musik im frisch & schön restaurierten kleinen königlichen Kurtheater von Bad Wildbad im Schwarzwald. Eine der verdienstvollen Rekonstruktionen aus den Archiven, die Wildbad-Intendant Jochen Schönleber mit schöner Regelmäßigkeit schafft.

Das linke Bild zeigt den Dirigenten Luciano Acocella, eingerahmt von den Solisten: links mit roter Krawatte die gereifte, souveräne Mezzosopranistin Victoria Yarovaya in der Hosenrolle des Siveno (Sohn des Demetrius und Ziehsohn des Partherkönigs Polibio), neben dem Tenor César Arrideta in der Rolle des Eumene alias Demetrius incognito. Rechts des Dirigenten die phantastische Sopranistin Sofia Mschedlishvili als Lisinga, Polibios Tochter und frisch angetraute Frau von dessen Ziehsohn Siveno (also Demetrius junior, wie sich am Ende herausstellt).

Auf dem Bild rechts erkennt man etwas von der barocken Innenarchitektur und der intimen Enge des Opernhäuschens mit rund 160 Plätzen inklusive Balustrade. Die Akustik dieser (aller!) hölzernen Barocktheater ist irgendwie dumpf und trocken im Vergleich zu heutigen Opernhäusern, aber echt. Luciano Acocella leitete das großartig aufgelegte Stamm-Orchester des Festivals, die Virtuosi Brunensis (Brünn) und den Camerata Bach Chor Poznan (Posen). Die Tschechen waren vor vielen Jahren eigentlich bloß als billige Notlösung gedacht, haben sich aber als professionelle Partner etabliert, auf die man stolz sein kann. Nur zu Beginn kam das Orchester noch etwas steif und stakkatohaft daher, nahm aber bald Fahrt auf beim Eingrooven auf Tempi und Rhythmen.

Kritik gibt es nur an der phantasielosen, statischen Inszenierung der Kammeroper mit wenig Personal, am dürftigen Bühnenbild (wieso bitte ist ein Schlafzimmer ohne Bett wie ein Wartezimmer eingerichtet?) und an den Kostümen, d.h. Einheits-Uniformen für alle außer der jungen Ehefrau Lisinga. Unnötig einfallslos. Bis auf den Tenor Arrieta, der gelegentlich bei Höhen und Tiefen schwächelte, waren alle Solisten großartig - vor allem unter den Bässen ist so einer wie Lucca Dall´Amico (Polibio) ein Solitär: kein einziges Schwimmen, kein unnötiges Verschleifen der unteren und oberen Tonlagen in den Arien. Mit solchen Sängern geraten auch Duette, Terzette und Quartette zum reinen Hörgenuss. Der Maestro Compositore hätte seine Freude daran gehabt!
Und, um die platte Story nicht ganz unerwähnt zu lassen: Es geht um Demetrius, der seinen Sohn Sivenio alias Demetrius jr. vom Hof des Königs Polibio zurückholen will, wo er in Unkenntnis der tritt der als sein eigener Botschafter (Hä?!) verkleidete Vater mit Waffengeschenken (?!) auf den Plan und gerät gleich nach Art orientalischer Despoten mit dem Ziehvater und Kollegen aneinander, der sich ebenso als dämlicher Macho und notorischer Säbelrassler zeigt wie der für einen erwachsenen Sohn viel zu junge Demetrius. Es folgen: ein diplomatischer Eklat, die irrtümiche Entführung von Sivenos Frau Lisinga statt Siveno, ein Geiseltausch im Wald, die ebenso unnötigen wie damals üblichen Orgien in Selbstmitleid und Verfluchungen sowie schließlich die reichlich späte Klärung der unnötigen Verkleidungs- und Verwechslungsgeschichte mit Rührung, Versöhnung und Hurrapatriotismus. Ein Klischee des Orientalismus im 19. Jahrhundert jagt das nächste, von psychologischer Rollenführung oder gar einer glaubwürigen aktuellen Charaktergestaltung keine Spur. Aber so war das halt damals, und eine historisch korrekte Aufführung ist für Wildbads Vorreiterrolle beim Wiederentdecken alter Opern allemal wichtiger als der moderne Zeitgeschmack. Eine Steilvorlage für nachfolgende Inzenierungen.


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