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Sonntag, 1. Mai 2016

Der mit der Orgel tanzt: Cameron Carpenter wird frenetisch gefeiert

Der Solist mit dem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien in Ludwigsburg


 Große Dynamik: Das Orchester, der Dirigent Cornelius Meister und der Solist Cameron Carpenter

Wahrhaft würdig einer Walpurgisnacht war am 30. April bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen der Auftritt des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien unter der Leitung von Cornelius Meister mit dem Auzsnahme-Organisten Cameron Carpenter als Solist. Das einleitende Stück "Die Mittagshexe" von Antonin Dvorák ist ein klangmächtiges slawisches Märchen, das (anders als dieses Konzert!) nicht gut ausgeht: Ein Kind ist ungezogen, die Mutter mahnt: "Sei brav, sonst holt dich die Mittagshexe!" Das Kind ist erneut ungezogen, die zweite Mahnung wird zur Anrufung, die Hexe kommt und will das Kind mitnehmen. Die Mutter, die alles nicht so gemeint hat, kämpft um ihr Kind. Schlag Zwölf entschwindet die Mittagehexe. Der Vater kommt heim und findet die Frau im Wahnsinn, in den Armen ihr totes Kind. Eine musikdramaturgische Glanzleistung ist diese sinfonische Dichtung, die 1896 in London uraufgeführt wurde. Dirigent und Orchester wechseln kunstvoll in schönen, klangmalerischen Melodien zwischen Idyll, Quenengelei, Schärfe, Kampf und Trauer mit dem Wahnsinns-Crescendo im Finale.
 
Auch Carpenters Beinarbeit ist sehenswert
Ein ideales Warmlaufen war das für das zentrale Werk dieses Abends - Die Rhapsodie über ein Thema von Paganini, bearbeitet für Orgel und vorgetragen von Cameron Carpenter. Der 35jährige US-Amerikaner kommt daher wie ein Punk und ist doch ein ähnliches virtuoses Genie wie der Geiger Paganini. So manche Orgel hat eine Begegnung mit diesem Mann nicht überlebt, weshalb er 2014 ein eigenes Instrument bauen ließ, das ihn seither zu jedem Konzert begleitet.
Wenn man das spillerige Kerlchen mit den zu kurzen Jackenärmeln sieht, mag man kaum glauben, welche Kraft in Carpenter steckt: genug für fünf Manuale (nicht gezählt die Register) und ein ungewöhnlich großer Pedalwerk, das er mit tanzenden Füßen souverän bespielt. Als sechstes Manual darf man getrost das Orchester sehen, denn das mag zwar einen Chef haben, aber gespielt wird es hier von einem entfesselten Solisten. Sensationell die sensible Abstimmung zwischen den Musikern, die kluge Zurücknahme des Dirigenten, die unverhohlene Bewunderung des Ensembles für diesen Teufelskerl. Ein Teufelsstück für einen Teufelsgeiger, adaptiert von einem Teufelsorganisten: Einfach großartig, diese Virtuosität sozusagen über 6 Etagen. Das fand auch das Publikum und steigerte seinen Applaus mit vielen Bravos bis zu fast fanatischen Begeisterungsausbrüchen  und Standing Ovations.

Dirigent Cornelius Meister und Cameron Carpenter beim Schlussapplaus
Sage und schreibe fünf (5) Zugaben musste Carpenter spielen, von Johann Sebastian Bach bis zu deutscher Marschmusik und österreichischen Drehorgelmelodien aus dem Prater.
Etwas Ruhe brachte dann nach der Pause die Sinfonie Nr. 4 d-Moll von Robert Schumann in den ausverkauften Saal. Glänzend orchestriert und feinfühling in den Steigerungen der erdigen, unaufgeregten Motive in den Wiederholungen der Streicher durch Holz- und Blechbläser, ist dieses eher heroisch-schwermütige Werk genau richig als Finale eines solchen Konzerts. Mir gingen den ganzen Abend nicht zufällig Szenen aus der Walpurgisnacht in Goethes "Faust" nicht aus dem Kopf. Wenn Musik derart die inneren Bilder zum Laufen bringt, ist es gut. Nein: sehr gut. Ungewöhnlich genug, auch für ein Gastspiel, waren zwei Zugaben durch das Orchester: Nr.72 von Dvoráks "slawischen Tänzen" und die "Bussi-Polka" des modernen Komponisten Ernst Fischer.



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