Seiten

Montag, 28. März 2016

Bürger, lasst Euch nicht vertreiben!

Vladimir Vertlib: "Lucia Binar und die russische Seele". Roman. Deuticke bei Paul Zolnay in Wien, 319 S., 19,99 €


Lucia Binar ist 83 Jahre alt und stinksauer. Die Große Mohrengasse, in der sie schon ewig wohnt, soll in "Große Möhrengasse" umbenannt werden. Außerdem wurde ihr Essen auf Rädern nicht geliefert. Der Telefondienst dafür wurde in ein Callcenter ausgelagert, und dort rät man ihr, sich halt von Trockenwaffeln zu ernähren. Lucia will die schnoddrige "Ratgeberin" zur Rede stellen und trifft dabei Moritz. Der hilfsbereite Student unterstützt die "Anti-Rassismus-Initiative Große Möhrengasse" und wird eher unfreiwillig zum Verbündeten Lucias. 
Mit viel Humor erzählt Vladimir Vertlib die Geschichte einer alten Dame, die entschlossen ist, ihre Würde zu bewahren. Sein Roman erzählt aber auch von der russischen Immigrantenszene, den Versuchen, ärmere Bewohner der Wiener Mietshäuser mit Hilfe von Punks, Wohnsitzlosen und Kleinkriminellen zu "entmieten" und ganze Stadtviertel schick, trendy und für die Alteingesessenen unbezahlbar zu machen. Mit grotseker Übertreibung, Humor und viel Menschlichkeit streift Vertlibs verbaler Kamera-Blick durch die verschiedenen  sozialen Schichten und Szenerien der Stadt. Und manche überraschende Volte erinnert den Leser - sicher nicht zufällig - an die faustischen Knalleffekte in Michail Bulgakows "Der Meister und Margarita". So zum Beispiel der Abgang des bösen Vermieters im Rahmen einer magischen Varieté-Session in Lucias Wohnhaus. Ein Riesenspaß. Unbedingt lesen!

Keine Kommentare: