Seiten

Sonntag, 19. Juli 2015

"Bianca e Falliero": Erfolgreiche deutsche Rossini-Erstaufführung in Bad Wildbad

Großer Beifall für Victoria Yarovaya (Falliero), Cinzia Forte (Bianca) und Kenneth Tarver (Contareno)
Der Opern-Schwitzkasten Alte Trinkhalle Bad Wildbad hatte am 18. Juli ein Highlight des diesjährigen Rossini-Festivals im Schwarzwald: die deutsche Erstaufführung von "Bianca e Fallliero" (Bianca und Falliero, Uraufführung 1819 an der Mailänder Scala) des großen Gioacchino Rossini. Der hat in Wildbad mal eine Kur gemacht und wurde mit Feder, Tinte und Notenpapier gesehen. Deshalb ließ der württembergische König hier ein winziges Kurtheater zu seinen Ehren bauen und in der Sommerfrische seine Opern aufführen. Das Festival knüpft seit gut 25 Jahren an diese Tradition wieder an. Intendant Jochen Schönleber hat international renommierte Festspiele daraus gemacht - durch hohes Niveau, aber auch durch wissenschaftliche Gründlichkeit beim Ausgraben von Opern Rossinis und seiner Zeitgenossen, die in Vergessenheit geraten sind.
Diese Originaltreue und damit verbundene CD-Aufnahmen sind musikhistorisch einmalig, haben aber auch eine Schwäche: Streichungen, die vor allem bei unzeitgemäßen Überlängen, Wiederholungen und Girlanden sonst unvermeidlich und eine Wohltat fürs Publikum wären, entfallen da natürlich. Die Länge der Aufführung - über drei Stunden netto, mit Pause und Unterbrechungen durch Applaus fast vier Stunden, ist vor allem bei hohen Temperaturen in der größeren Spielstätte Alte Trinkhalle eine hohe Belastung für den Kreislauf aller Beteiligten. Vor allem ältere Opernfans leiden oder bleiben inzwischen auch ganz weg, weil sich die alte Holzbaracke gegenüber dem alten Kurtheaterchen entsetzlich aufheizt und keine Klimaanlage besitzt. Diese musikalisch hochwertige Langzeit-Sauna ist nicht bekömmlich und schmälert den Genuss am Musiktheater erheblich, ebenso wie die vollkommen unzureichenden sanitären Anlagen.
Dabei ist dieser musikalische Genuss wirklich enorm: Weltklasse ist der langjährige Dirigent Antonio Fogliani ebenso wie das Orchester Virtuosi Brunenses und der Camerata Bach Chor Posen. Zu den Spitzensolisten des Belcanto gehören auch immer wieder die Sänger der Hauptrollen: diesmal Kenneth Tarver als böser Vater Contareno, der seine Tochter Bianca, hervorragend gesungen und gespielt von Cinzia Forte, in eine Zweckehe mit dem honorigen, aber ungeliebten Senator Capellio zu zwingen sucht (sehr überzeugend: Baurzhan Anderzhanov). Ein trotz aller altmodischen Verstocktheit in patriarchalischen Konventionen vielschichtiger Charakter, der eine große Bandbreite an Gemeinheiten bei Erpressungsversuchen gegenüber der Tochter und einer intriganten, gewalttätigen Vernichtungsstrategie bei deren Liebhaber Falliero an den Tag legt. Erst der Schwiegersohn in Spe wendet das Blatt, weil er das alles nicht mehr erträgt. Respekt vor dem Gesetz und der Liebe haben alle, nur nicht Contareno. Die Partie ist nicht sympathisch, aber Tarver sang sie mit einem Tenor wie aus geschliffenem Stahl, makellos, in Höhen und Tiefen gleichgermaßen sicher und kraftvoll. Entsprechend groß war auch sein Anteil am Schlussbeifall.
Alle Solisten, auch die Senatoren Capellio und Loredano, sangen trotz atemberaubend stickiger Luft auf der Bühne unter den Scheinwerfern hervorragend, virtuos und sicher. Schöne Stimmen durch die Bank, die leider bei (gottlob seltenen) Arien durch die gezierten, nicht enden wollenden Koloaturen nach fast jedem einzelnen Takt leiden; aber das ist nicht die Schuld der Sänger, sondern des Komponisten. Besonders die Hosenrolle des Falliero war mit der Sopranistin Victoria Yarovaya auffallend gut besetzt.
Primo Antonio Petris inszeniert das scheußlich pathetische Libretto des Melodrams nachvollziehbar als höchst aktuelle Zwangsehen-Problematik. Die Liebe Biancas zu dem siegreichen General Falliero (warum sind diesen Librettisten, hier Felice Romani von der Mailänder Scala, immer so entsetzlich dumme Namen eingefallen?) schafft eine Spannung, die auch in Otello, Tancredi und anderen Opern von tragender Bedeutung ist: Leidenschaft gegen Staatsräson, Liebe gegen Vernunft und Gehorsem, das zog damals immer und ist wohl zeitlos. Rossini fand das Textbuch gut, aber das muss man heute nicht mehr durch die Bank so sehen. Viel Schwulst, viel nationales Pathos von der Republik Venedig, viele Ahs und Ohs, Ausrufezeichen in Endlosschleifen. Da täte eine moderne Bearbeitung not.
Von zeitloser, teils umwerfender Schönheit sind vor allem die zahreichen Ensemblenummern: Duette, Terzette, Quartette mit und ohne Chor. Und die kamen auch wunderbar über die Bühne, z.B. im Quartett "Importuno, in quel momento", wenn Falliero zum Beginn des kleinen Finales am Ende des ersten Aktes die geplante Hochzeitsfeier von Bianca mit Falliero unterbricht und alle Beteiligten einem Sturm der Gefühle freien Lauf lassen. Das war Rossini vom Allerfeinsten: einfach großartig, auch die Unterstützung der musikalischen Emotionen durch den Chor und das Bühnenbild mit einem Schwarzweißfilm, der ein Schiff in schwerer See zeigte.
Der begeisterte Schlussbeifall fand erst durch allgemeine Erschöpfung ein Ende. Bravos, Standig Ovations für alle, vor allem aber für den Dirigenten, das Liebespaar und den bösen Papa. Dass dazu ein Feuerwerk für eine echte Hochzeitsgesellschaft beim alten Kurhaus einsetzte, war nicht Teil der Regie, passte aber ganz hervorragend dazu. Da muss jemand rechtzeitig sein  Handy wieder eingeschaltet haben.


Keine Kommentare: