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Sonntag, 8. März 2015

Zum "Internationalen Frauentag": Ein großer Roman übers Altern

"Unbarmherziges Glück" von Max Bläulich, Residenz Verlag St. Pölten, Roman, 395 S., 23,90 €


Das ist wieder so ein typischer Bläulich-Titel": Unbarmherziges Glück". Nach seinerebenso unbarmherzigen wie ironisch-tiefgründigen Gatterbauer-Trilogie über die österreichischen Variante der Kolonialzeit bis zum Ende des Ersten Weltkriegs hat der Autor nun das Fernrohr weggelegt und die Lupe ausgepackt. Wird auch die Perspektive kleinteilig, so ist doch die gleiche, österreichisch gefärbte Allgemeingültigkeit am Werk. Bläulichs Sprachgewalt ist auch mit Blick auf Salzburger Verhältnisse nicht geringer, und die Investition hat sich gelohnt. Sein neuer Roman lässt einen Ich-Erzähler, der durchaus autobiographische Züge zu tragen scheint, zwischen einer Pension voll schräger Vögel - etwa liebeshungrige Putzmädels, eine alterslose Wirtin, ein alternder Vertreter für Damenunterwäsche - und einem Altersheim pendeln, wo er zunächst nur€ die Lebensgeschichte einer typischen Bewohnerin aufzeichnet.
"Was mich im Asyl am meisten ärgerte, war das Geschmeiß", lautet der erste Satz. Und erst der zweite offenbart den doppelten Boden, den Kunstgriff, mit dem Tod und Leben hier zwangsverkuppelt werden: "Ungehindert surrten die Fliegen durch die sperrangelweit geöffneten Fenster. Hinaus, hinein, hin und her, setzten sich auf die Kuchen, auf die Butter, auf Schweiß und Kot".
Den Anfang der Geschichte, in der sich der Erzähler kunstvoll immer mehr verliert, ist die biographische Dokumentation über das Leben einer alten Frau, die irgendwie exemplarisch für den Niedergang der KuK-Monarchie und der Gesellschaft seither ist: Frau Berta, im Rumänien der Zwischenkriegszeit geboren, in Armut und Missbrauch aufgewachsen, wurde von den Wirren des Zweiten Weltbrandes nach Österreich gespült und kannte bis zum Schluss nur Demütigung, Schmerz und Elend. Sie war ihr Leben lang Putzfrau und Objekt sexueller Befriedigung, ohne je mehgr davon zu haben als geplatzte Träume, Misshandlungen, Ausbeutung und Vergewaltigung. Das Glück der Frau Berta war immer unbarmherzig.
"Alle, bei denen ich geputzt habe, waren mit mir zufrieden", erzählt sie. "Alle. ... Auf meine Hände und Knie hab ich nicht geachtet. Beim Fleischhauer Lorenz waren sie mit meiner Putzerei zufrieden. Auch in der Mühle, alles sauber und blitzblank, im Kaufhaus Hinterholzer in Oberndorf, im Bräustübel bei den Juden, bei der Frau Oberst Pullmann, bei der Humer-Tant (in einem Puff, der sich als Repassieranstalt tarnt und wo die junge Frau das Metier lernt) ... Habe immer geputzt, den Dreck der anderen weggeschafft. Hab mir nie auf mein Äußeres etwas eingebildet. Selbst wenn manchmal wer gesagt hart: Putzfrau? Eine so schöne Frau, haben Sie das notwendig?" - Nein, hätte sie nie gehabt, aber trotzdem lief´s beschissen, wie es die Männer so wollten.
Da lebt Thomas Bernhards Erbe, aber auch das von Karl Kraus. Im Nonntaler "Asyl", wie der Österreicher das einschlägige Altersheim für weniger betuchte Bürger nennt und damit gleich Assoziationen zu Asylbverwerbern schafft, ist ein Bestiarium humanum der Neuzeit. Der Biograph der Frau Berta wird schnell auch von anderen angesprochen: Tätowierten, Einarmigen, Pflegern, von denen viele erst die Pension und dann das Asyl bevölkern. Die Einwohner erzählen dem Ich-Erzähler ihr Leben, und der fängt an, sich unter all diesen verwandten und verwundeten Seelen heinisch zu fühlen. Er wandelt sich dadurch am Ende selber zum Asylbewohner und zieht konsequent dort ein, wo er bisher nur Besucher war. Kafka lässt grüßen.
Bläulichs Schilderungen der Armut in Galizien im Ersten Weltkrieg, an der sich bis heute kaum etwas geändert hat, erinnern an Joseph Roth: "Die wenigen in dieser Gegend verbliebenen Adeligen mit ihren kleinen Besitzungen waren verarmt, die Bauern arm, die Torfstecher, die Fischer arm, am die Jäger, die Knechte, die Mägde, die Brauer, die Handwerker, arm ein ganzer Gau mit Kleinhäuslern und Handlangern und Suffnigeln, die sich von der Schönheit dieses Landes nichts abzubeißen vermochten. Gegen die Schönheit der Töchter wurde rücksichtslos vorgegangen. Sie wurden durch die Vergewaltigungen und den anhaltenden Missbrauch ausgelöscht und schauten aus, als wären sie schon immer Huren gewesen, debil und verschlagen und krank."
"100 Jahre Einsamkeit" eines österreichischen Gabriel García Márquez sprechen aus dem Räsonnieren des Ich-Erzählers an Bertas Sterbebett: "Der Mensch ist, Frau Berta, so nennt man das, eine Win-win-Situation für Gott und die Einsamkeit. Und ich will nicht länger darüber reden, wer früher auf der Welt war, die Einsamkeit, Gott oider die Menschen, weil es auch möglich ist, dass die Menschen wegen der Einsamkeit Gott und die Engel erschufen, Frau Berta, das verstehen Sie nicht, das können Sie gar nicht verstehen, nicht einmal Schopenhauer oder Kant könnten das verstehen...".
Zwielichtig wie die Gestalten, die diesen großartigen Roman bevölkern, ist die Natur des Menschen. Und dafür hat Max Bläulich einen Blick, der Mitgefühl und Sarkasmus so genial miteinander vereint wie kaum sonst einer der zeitgenössischen Erzähler. Davor hat anscheinend sogar die österreichische Bischofskonferenz Respekt, die den einst so innovativen Salzburger Residenz Verlag gekauft hat und zwischen Erbauungsliteratur, Kunsthandwerk-und Gesundheitsbüchlein weiterhin die Roman dieses scharfzüngigen Grantlers druckt. Es dürfte ihr Schaden nicht sein. Max Bläulich verbreitet aufs Unterhaltsamste die Einsicht: Das Herz der Finsternis ist mitten zwischen uns. Humor hat er auch, und nicht zu knapp. Aber er sorgt immer wieder dafür, dass uns das Lachen im Hals stecken bleibt. Nur den Hsass einer Elfriede Jelinek oder eines Josef Winkler, den sucht man bei ihm vergebens.

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