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Samstag, 17. Januar 2015

Der Altmeister und das junge Violingenie feiern Beethoven

Sir Roger Nortington und Patricia Kopatchinskaja mit RSO-Musikern beim Schlussapplaus in der Stuttgarter Liederhalle

Es war ein Fest, und die Leute wussten, dass es so kommen würde: Selten ist die Stuttgarter Liederhalle bei einem Abonnementkonzert des Radio-Sinfonieorchesters (RSO) Stuttgart so herrlich brechend voll wie sie es am 15. und 16. Januar war. Was nicht nur mehr, sondern auch deutlich mehr jüngere Menschen als sonst anlockte: Der Altmeister am Pult (und langjährige RSO-Chefdirigent) Sir Roger Norrington (GB), inzwischen 81 Jahre alt, und die Ausnahmegeigerin Patricia Kopatchinskaja aus Moldawien interpretierten gemeinsam Ludwig van Beethovens Violinkonzert DE-Dur op. 61. Ich habe dieses Konzert schon öfter gehört, aber noch niemals so wie an diesem Abend: ein ganz neuer Beethoven, generalüberholt, runderneuert, zum Niederknien - und teilweise ganz unglaublich slawisch.

Die Solistin beim Signieren
Ach, wie gründlich hatten wir vergessen, dass Beethoven lange Jahre in Wien gelebt und die KuK-Musiktraditionen einschließlich der ungarischen Zigeunergeiger so gut gekannt und viel von ihnen in seine Musik aufgenommen hat! Aber diese Kopatchinskaja, die hat uns daran mit einmaligen Charme, Witz und Temperament erinnert. Nach der Original-Klavierfassung des Komponisten hat sie eigene Kadenz-Arrangements gespielt, zum Teil die Rolle der Solistin zugunsten des großartigen Orchesters getreu der Partitur zurückgenommen, und dann aufgedreht, was das Zeug hielt. Nicht nur virtuose Oberstimme war sie als Solistin, sondern auch Inspiratorin der Geigen und Celli im Orchester in kammermusikalischen Einlagen voller Humor: Echo, Zwiesprache in bekannten, aber neu gewichteten Rollen.
Der Dirigent, er darf inzwischen sitzen, kennt Beethoven und seine "Pappenheimer" so gut, dass er nur wenig brauchte, um das Orchester mit wenigen, zumeist kleinen Gesten vom Pianissimo ins furiose Tutti zu geleiten. Sein berühmter "Stuttgart Sound" - die Streicher ganz ohne Vibrato, gerade heraus, historisch nah am Original und ohne Schnickschnack - war wie von selbst wieder da. Wenn dieser Dirigent die Arme hebt und Schwung holt, ist was gefällig! Irgendwie musste ich an einen alten chinesischen Kampfkünstler denken. Nur lächelt Norrington anders - ganz anders.
Standing Ovations, viele, oft laute Bravorufe und lang anhaltender Applaus waren der Lohn für so viel virtuose Spielfreude. Als die Solistin ihren Blumenstrauß an die Konzertmeisterin weitergab,als Zugabe "Ein kleines Irgendwas" von Heinz Holliger anstimmte und sich selbst mit Zirpen, Klopfen und Zupfen auf ihrem Instrument begleitete, tobte der Saal vollends. So viel Humor, so viel Spielwitz und so viel Liebe zur Neuen Musik hatte nach der kräftezehrenden Beethoven-Darbietung niemand mehr erwartet. Norringtion stand beseite und grinste sich eins wie ein großer Junge - von einem Ohr zum anderen.
Bloß ein Wermutstropfen, der aber mit den Musikiern nichts zu tun hat, fiel in den Kelch der Freude: Dass der SWR ein solches voraussehbar historisches Konzert live übertragen möchte, ist verständlich. Nur findet sich dafür im Sendeschema des Programms kaum je ein angemessener Platz. Die Folge: Die Pause ist viel zu kurz, das Publikum (allen voran Aurogrammjäger, die erst zur Signierstunde eingeladen waren und dann noch für ein Getränk und eine Brezel anstehen mussten), kommt sich dann gehetzt vor. Niemand möchte seinen Sekt oder Wein in Eile hinunterstürzen und einen Schluckauf riskieren. Die Gastronomie ist auf solche Pausensnacks angewiesen, der CD-Verkauf nimmt ebenfalls Schaden. Das Konzert findet ja wohl in erster Linie fürs zahlende Publikum und in zweiter fürs SWR2-Programm statt. Und da ist Live keine eigene Qualität. Es wäre wirklich besser, auf solche Live-Hetzjagden zu verzichten und dafür schneller mit dem Mitschnitt auf CD in den Läden zu sein. Dafür hätte das Publikum dann ausreichend Muße, sich zu stärken, seine Idole zu bewundern, mal für kleine Königstiger zu schleichen und eine CD für daheim auszusuchen. Na, wäre das kein Vorschlag?
Wie zum Ausgleich für so viel Freude spielte das RSO nach der Pause die etwas laute, pathetische, manchmal krachende Sinfonie Nr. 2 D-Dur von Jean Sibelius, die 1902 bei der Uraufführung durch die Philharmoniker von Helsinki gleich zur Unabhängigkeitsmusik zur Befreiung vom russischen Bären hochstilisiert wurde, gab dann einen ernsten, fast politischen Abschluss des Abends. Große Klangmalerei, orchestrales Theater mit Niveau, aber nichts im Vergleich zur ersten Hälfte des Konzerts. Die war einfach nicht zu toppen.



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