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Montag, 8. April 2013

Interreligiöses Chorlabor III: Aleviten stellen sich vor

Sirin Üstün und ihre Musiker stellen mystische alevitische Gesänge vor
In der Internationalen Bachakademie Stuttgart ging am 7. April das interreligiöse Chorlabor im TRIMUM Projekt weiter. Dabei singen Juden, Christen und Muslime gemeinsam geistliche Musik unterschiedlicher Herkunft. Diesmal stellte Sirin Üstün mit traditionellen Musikern alevitische Musik vor. Und dabei wurde die zunehmende Komplexität der selbstgestellten Aufgabe noch deutlicher als bisher.
Die Unterschiede zu den türkisch-sunnitischen Pilgerliedern oder den extatischen Gesängen der Sufis sind mit viel gutem Willen für den musikalisch gebildeten Mitteleuropäer hörbar. Ob sie aber auch ohne weiteres umsetzbar sind? Diese Frage zu beantworten wird zunehmend schwieriger. Jede der bisher vorgestellten musikalischen Traditionen präsentierte den Sängern neue Ansprüche und Schwierigkeitsgrade - ganz abgesehen von den auch nicht gerade einfachen Sprachen Deutsch, Hebräisch und Türkisch.
Beispiel: Hat die christliche Kirchenmusik sich schon im Mittelalter von der einstimmigen gregorianischen Schola zu vielstimmigen Chorälen bzw. Chören entwickelt, so weist die jüdische Synagogalmusik diese Tendenz erst in der Moderne auf. Alte jüdische Lieder - sowohl bei Sefardim (den orientalischen Juden) als auch bei der anderen Tradition der mittel- und osteuropäischen Chassidim klingen die alten Gesänge deutlich anders und orientieren sich strikt an der Einstimmigkeit. Noch komplizierter ist es bei der muslimischen Musik: Statt unserer siebenstufigen Tonleitern in Ganztonschritten (die naturlich Halb-, Viertel-, Achtel- und Sechzehnteltöne einschließen) in Dur und Moll kennt die muslimische Musik grundsätzlich "nur" so genannten "Komma-Tonleitern", bei denen die meisten Tonschritte in Zehnteln gemessen und danach auch Tonarten benannt werden. Das ist so komplex, erklärte Ahmet Gül, dass ein Klavier, mit dem man diese Musik auch nur annähernd spielen könnte, über drei Meter breit sein müsste und damit technisch für menschliche Arme nicht mehr beherrschbar wäre. Diese Feinabstufungen SIND die orientalische Mehrstimmigkeit oder entsprechen der abendländischen jedenfalls. Da hat es einfach zwei gleichwertige Entwicklungen in unterschiedliche Richtungen gegeben.Und denen muss sich das Ohr der Sänger erst einmal anpassen. Ich stelle mich das ähnlich schwierig vor wie das Bearbeiten unterschiedlicher Rhythmen mit Händen und Füßen an einem Schlagzeug - nur eben ganz anders.
Sirin Üstün, Sängerin & Lehrerin

Als Sirin Üstün, die schon von Anfang an im Chorlabor mitsingt, die Musik ihrer alevitischen Tradition mit Musikern an traditionellen Instrumenten vorstellte, kam neben der Herausforderung des türkischen Textes und der "Komma-Tonarten" noch eine enorme Länge des Liedes und ein abrupter Tempowechsel hinzu.
Also blieb es in der ersten Etappe der Annäherung weitgehend beim aufmerksamen Zuhören auf der einen und einer Demonstration oder Hörprobe auf der anderen Seite. Ein paar eher schüchterne Durchgänge für die Sänger gab es zwar noch, aber da wird beim nächsten Workshop noch einiges zu tun sein. Vielleicht hätte man erst einmal die neuen Schwierigkeiten der ersten beiden Workshops sicher aufarbeiten sollen, bevor schon wieder Neues oben drauf kommt; aber wie Sirin Üstün sagt: "Der Spaß ist bei allen ungebrochen". Auch wenn gerade bei den deutschen Sängern manche an der Grenze ihres Fassungsvermögens waren - auch sie machen begeistert weiter.
Natürlich gab es wieder selbst Gebackenes und Gekochtes zu Mittag und zur Kaffeepause. Das gehört für viele der Aktiven einfach schon so dazu wie das Singen selbst.
Projektleiter Bernhard König hatte angesichts des enormen Lernstoffes eine geniale Idee mitgebracht: Nicht nur musikalisch stellt das Chorlabor hohe Ansprüche an die Teilnehmer, sondern auch theologisch-philosophisch. Nur kann man offenbar beim Nachdenken über theologische Prioritäten und bei der Suche nach Formen des gemeinsamen Singens, die dafür Freiraum lassen, die Schwierigkeiten unterschiedlicher Sprachen und Tonarten besser verarbeiten. So erschien es jedenfalls dem Beobachter. Ein christliches Lied mit dem Inhalt des Glaubensbekenntnisses aus dem Gesangbuch gab ein hervorragendes Beispiel dafür ab. Man konnte - jeder und jede für sich - sozusagen musikalisch ausruhen, um theologisch Position zu beziehen und diese auch philosophisch zu begründen.
So hat sich ein Verdacht bestätigt, den ich schon zu Anfang hatte: Hier lernen die Teilnehmer wesentlich mehr als "nur" in fremden Sprachen und Tonarten zu singen. Da lässt sich das Entstehen einer interreligiösen Familie beobachten - in großem Respekt voreinander, mit viel Humor und einer enormen Begeisterung für das Gemeinsame. Für mich ist es immer ein gutes Zeichen, wenn ich Menschen bei harter Arbeit häufig lachen höre. Und Arbeit war das - davon können alle wahrhaftig ein Lied singen.



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