Seiten

Sonntag, 27. Mai 2012

Von meinem Bücherbord: Biographien

Christiane Zehl-Romero, "Anna Seghers. Eine Biographie 1900-1947" (Aufbau-Verlag Berlin, 560 S., 30,63 €): "Was zählt, ist das Werk und nicht die Person", hat Anna Seghers immer gesagt, um Fragen nach ihrer Biographie zu blockieren. Sie hat Spuren verwischt und mit Bedacht selbst gelegt, also kein Interesse an der Wahrheit gehabt. Sie war eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen im 20. Jahrhundert, aber sie war auch Funktionärin der KPD und eine Zeitlang Kulturministerin der DDR, auf deren Konto eine Reihe von Verbrechen an der Kultur und an einigenn ihrer Schriftstellerkollegen gehen. Mit besonderem Interesse liest man daher die detailreiche Biographie im ehemaligen DDR-Verlag Aufbau, aber Befriedigung stellt sich nicht ein. Zu hölzern die Sprache, zu lang die Sätzte, zu dürftig die rekonstruierten Fakten. Und vor allem: Das Buch ist zu Ende, bevor Seghers 1947 aus dem mexikanischen Exil in die DDR zurückkehrt, also bevor es wirklich spannend hätte werden können. Da hat die Autorin, eine vergleichende Literaturwissenschaftlerin aus Wien mit Stationen an der Sorbonne und an der Yale University, die heute in den USA lebt, bequem eine Fleißarbeit zu Geld gemacht, weil der große Name ihres Opfers dazu einlud. Die Seghers "von vereinfachenden Wahrheiten zu befreien" hätte anders ausgesehen, sorry.

Rolf Hosfeld: TUCHOLSKY. Ein deutsches Leben (320 S., 21,99 €, Siedler Verlag, München): Das ist eine Biographie, die den Namen auch verdient. Hosfeld arbeitet hauptsächlich als Dozent, Verlagslektor, Redakteur und Feuilletonleiter der Wochenzeitung "Die Wioche". Und er arbeitet historisch aufrichtiger, aber nicht weniger gründlich. Tucholsky als Publizist der Weimarer Republik, der Berliner Satiriker, Lyriker, Romancier und zeitweilig auch Herausgeber der Wochenzeitung "Weltbühne" war ein hellsichtiger Gesellschaftskritiker, ein Nazigegner, aber kein Intrigant und Kameradenschwein, letzten Endes ein wunderbarer Dichter und Mensch. Hosfeld erzählt sein Leben wie einen Roman: intensiv, kurzweilig und engagiert auch da, wo er leichtfüßig daherkommt. In dieser Biographie entsteht zugleich ein interessantes Bild der Zeit zwischen 1890 und 1935. Ach, wie gut täte uns heute wieder ein Tucholsky! Am 21. Dezember 1935 starb er in Göteburg an einer Überdosis Schlaftabletten, und die Fachwelt diskutiert bis heute darüber, ob das ein versehen oder Absaicht war. Tatsache ist: Tucholsky ging ins Exil, als die Nazis an die Macht kamen, und konnte ohne Beruhigungsmittel nicht mehr schlafen. Das hat ihn umgebracht. Der Rest ist Schweigen.

Keine Kommentare: