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Montag, 13. Februar 2012

Bücher in Kürze: Von Schleichwerbung und chancenlosen Büchern

Der US-Amerikaner William Gibson wurde bekannt als einer der Erfinder des Cyberspace und Autor von SF-Romanen mit hoher literarischer Qualität (z.B.1984 "Neuromancer". Seit 2004 erscheinen bei Klett-Cotta in loser Folge Genre-Romane um Underground-Kultur, einen zwielichtigen Informationsfreak und neue Formen der Kriminalität im Internet. Hubertus Bigend, Eigentümer der Medien- und Werbeagentur Blue Ant (Blaue Ameise) lässt gern andere die heißen Kastanien für sich aus dem Feuer holen. In Ruhe essen kann er die dann aber nie.
Es begann 1904 mit "Mustererkennung", wo Bigend ein Hackerpärchen auf die Spur seltsamer, aber erfolgreicher Filmclips in Youtube setzt und einen russischen Oligarchen aufschreckt, der eigentlich nur das künstlerische Talent seiner Tochter fördern und sein Geld waschen will.
2008 tauchte in "Quellcode" die ehemalige Rocksängerin Hollis Henry auf, die merkwürdigen Streetart-Hologrammen nachgeht, für die sich auch Bigend interessiert. Prompt entpuppt sich Bigends angeblich journalistischer Auftrag für Hollis, über eine Künstlergruppe zu recherchieren, als ein Stich ins Wespennest diverser Geheimdienste, die unter dem Deckmantel der Kunst Geld und Waffen in den Irak schmuggeln.
2010 begegnen wir in "Neustart" Bigend und Hollis wieder. Diesmal manipuliert Bigend neben Hollis einen begabten Ex-Junkie zur Aufdeckung eines gigantischen Betrugs mit Underground-Mode. Die Welt der Scouts und Händler, der Bodyguards und der zwielichtigen Typen, die sie bezahlen, erschließt sich langsam, beinahe langweilig, um in einem furiosen Creshendo einem Wahnsinns-Ende zuzustürzen. Wie immer spielt der Plot in etlichen Metropolen Europas, der USA und Asiens, wie immer sind die Protagonisten Technik-affin, topfit und haben einen schrägen Kunst- und Musikgeschmack. Gekonnt eingefädelte Intrigen lösen sich in einem eher hausbackenen, aber temporeichen Finale. Dass die Welt schlecht ist, die Finanzmärkte korrupt, die Konzerne hoch politisch aber undemokratisch und die Welt der Bürgerbewegungen die einzige Zukunft der Guten - geschenkt. Dass aber das iPhone von Hollis 54 mal strategisch über die 490 Seiten verteilt bimmelt, ist schon kein Guerilla-Marketing mehr, sondern leider ziemlich fette Schleichwerbung. Da dürfte das Buch keine 24,95 € mehr kosten.

Vom allmählichen Verschwinden im Wahnsinn

"Zielinski" heißt ziemlich nichtssagend der Roman von Nina Jäckle, die mit ihrer exorbitanten Sprachkunst ein schmales Buch voller Haken und Ösen, Fallstricke und Überraschungen für geradlienige Geister vorgelegt hat (Klöpfer & Meyer Verlag, Tübingen, 186 S., 18,90 €). Der Ich-Erzähler hat einen (nicht zahlenden!) Untermieter, der Zielinski heißt, gewalttätig ist und sein erschreckend passives Opfer total aus seinem Leben herauskegelt. Was skurril mit komischen Anklängen beginnt, steigert sich bald in eine kafkaeske Ausweglosigkeit, die in jeder Serpentine ihrer Steigerung neue verblüffende Facetten abgewinnt. Mit großer poetischer Suggestivkraft verwandelt die Autorin einen Normalbürger, seine Gewohnheiten, seine Beziehungen zu anderen Menschen in so etwas wie einen Salatkopf: Als er Zieninski endlich vertrieben hat, ist er selbst zu Zielinski geworden - eine Endlosschleife des Schreckens: "Schon lange hat mich nichts mehr gestört, nicht einmal mehr Schritte in einer anderen Wohnung haben mir meine Ruhe genommen, hier ist es nicht schwierig, in Ruhe auf und ab zu gehen. Das Telefon klingelt nicht mehr, dieser Anschluss ist gesperrt. Da kommt keiner mehr durch. Kein Besuch ist zu erwarten." Mit diesem Buch kann man jeden selbstzufriedenen Menschen mental vergiften.

Das ganz normale Schreckenskabinett

Yann Martel ist ein seltsamer Autor, der für deutsche Leser ziemlich aus dem Nichts kam: 1963 in Spanien geboren, Diplomatensohn, verbrachte viele Jahre in Indien, der Türkei und im Iran, lebt in den USA. 2002 erhielt der Autor für den Roman "Schiffbruch mit Tiger" den Booker-Prize, 2010 erschien bei S. Fischer sein zweites Buch in Deutschland: "Ein Hemd des 20. Jahrhunderts" (216 Seiten, 18,85 €). Auch das hat einen skurrilen Titel und ist inhaltlich nicht schubladisierbar - also chancenlos. In einer wunderbaren, einerseits präzisen, andererseits poetischen Sprache schildert der Ich-Erzähler, ein ehemals erfolgreicher Schriftsteller, von der Begegnung mit dem absoluten Schrecken. Sie beginnt mit dem Leserbrief eines Tierpräparators, der angeblich literarischen Rat sucht für die Vollendung eines Theaterstücks. Doch schrittweise machen die Besuche beim Präparator den Autor zum Opfer eines brutalen Experiments in Sachen Realismus. Kann Sprache so schrecklichen Dingen wie Diktatur und Folter, sinnlose Mordlust und Grausamkeit überhaupt "gerecht werden"? - Ein ungewöhnliches Plädoyer für Menschenwürde und Toleranz - nur leider zu esoterisch versponnen. So wird der Autor nur wenige Leser erreichen und am wenigsten die, die es angeht.


Banker als Erbschleicher

Wie schon in seinen Romanen "Das Konto" (2006) und "Afrikanisches Roulette" 2008) hat Krimi-Autor und ehemalige Banker Bernd J. Fischer Lebenserfahrungen im Bankwesen der Schweiz, Frankreichs und Deutschlands zu spannender Lektüre verarbeitet. Fischer, der lange Zeit für Banken als Kunst-Anlageberater tätig war und nach seiner Pensionierung einige Jahre als Galerist in Südfrankreich lebte, liebt die schönen Dinge, das gute Leben  - und kennt seine Pappenheimer. "Das Bild" (NORA Verlag, 2011, 186 S., bei Amazon ab 15,50 €) bringt alle diese Seiten zusammen: Einem schwedischen Reeder wird ein Bild geklaut, dessen Wert nur wenige kennen. Es stammt aus der unrechtmäßigen Verwertung einer Erbschaft und bringt den ganzen Fall ins Rollen. Ein Banker und ein befreundeter Notar erfahren vom Ableben einer reichen Sammlerin, bevor deren entfernte Verwandte Wind von der Sache bekommen. Sie versteigern die wertvollen Gemälde und erzählen den Erben, bei der Wohnungsauflösung seien keine nennenswerten Werte aufgetaucht. Stimmt: Die lagen in einem Safe bei der Schweizer Bank, deren Filialleiter zufällig von seinem Notarfreund hörte, dass sie jetzt herrenlos seien. Die alte Dame hatte nämlich keine Lust, für ihre Kunstliebe auch noch Steuern zu zahlen; also wusste niemand davon. Wieder einmal wäre das Verbrechen fast perfekt, gelänge auch noch der Mordversuch an einem neugierigen Erben und gäbe es nicht einen pensionierten Bankier alter Schule mit Kunstverstand, der mit dem bestohlenen Reeder befreundet ist und sich als Privatdetektiv betätigt.


Fehlgriff: Banker als seelenloser Philosoph

Island war nicht nur schuld daran, dass viele Deutsche Anleger in der Finankrise 2008/9 ihr Geld verloren, sondern  als Gastland auf der Frankfurter Buchmesse 2011 auch an einem literarischen Fehlgriff. An dem Roman "Bankster" von Gudmundur Oskarsson (Frankfurter Verlagsanstalt, 254 S, 22,90 €) ist nur das Titelfoto von Reykjavik gut - und der Titel selbst. Er ist eine prima Kurzformel für die Geschichte, dass Gangster früer als Bankräuber vor dem Tresen standen, während sie heute als Banker dahinter sitzen. Nein, der Autor hat keinen Thriller über Zocker geschrieben, sondern versucht sich vergeblich an der Innensicht eines isländischen Bankers, der durch die von ihm mit verursachte Krise arbeitslos geworden ist. Während seine Frau, ebenfalls Bankerin, eine neue Existenz als Lehrerin aufbaut und auch eine neue Liebe findet, sitzt der Ehemann stumpfsinnig zu Hause herum oder trifft sich zum Essen und Trinken mit alten Kollegen. Nichts hat er gelernt aus seiner neuen Lage, und nichts hat er im Hirn, was des Beschreibens wert wäre. Reue? Sozialer Realismus? Isländisches Lokalkolorit? Psychogramme der Zocker als Verlierer? Oder wenigstens ein Blick in die Seele des Bösen oder poetisch zarte bzw. sinnlich-saftige Melancholie? - Alles Fehlanzeige. In jeder Hinsicht ein Missgriff - oder, was noch schlimmer wäre: vielleicht gar der Versuch, mit den Reizwörtern Island und Banken Quote zu machen ohne jede Substanz.

Dienstag, 7. Februar 2012

Willkommen Winter!

Vor meinem Fehster ist es sonst nicht so einsam
Immer wenn´s schneit, ist Chaos in Stuttgart. Früher hab ich mich geärgert, wenn irgend ein Trottel es mal wieder besser wusste und den Winter mit Sommerreifen durchstehen wollte, so dass 1000 andere hinter ihm standen. Heute empfinde ich Schadenfreude ob all der Unbelehrbarkeit. Schon ein Zentimeter Schnee zeigt, wie herrlich ruhig eine Großstadt sein kann. Wenigstens bis die erste Schneeschaufel auftaucht. "Schneechaos": einfach lächerlich. Schnee bringt nur das Chaos in manchen Hirnen so richtig zum Vorschein. Insofern: Willkommen Winter!

Als begeisterter Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel (ja, ja, so ein Sozialist bin ich - buh!) habe ich übrigens diese Gefühl von Schadenfreude nicht, aber trotzdem was zu meckern: Da leisten sich Monopolisten, den Bürger (und Kunden) in jedem Jahr mit Preiserhöhungen zu schröpfen, die über der Inflationsrate liegen, fliegen aber leistungsmäßig immer wieder aus der Kurve. Ausgerechnet bei Minus 20 Grad stellt die Stadtbahn wegen Bauarbeiten ohne Vorwarnung auf weiten Strecken ihren Takt von 10 Minuten auf 1-2 Stunden um. Oder sie reagiert mit einer Woche Totalaussperrung auf einen Tag Streik und verschickt dann an die Kunden von Monats- und Jahreskarten Freikarten zum Ausgleich für entgangene Transportdienstleistungen.

Und die Deutsche Bahn (DB) ist auch nicht mehr, was sie war: pünktlich und zuverlässig bei jedem Wetter. Erst werden Tausende von Streckengängern entlassen und Weichen elektronisch automatisiert, und dann merkt man, dass die Elektronik bedauerlicherweise bei mehr als 10 Grad unter Null den Geist aufgibt. Die Streckengänger hatten sie notfalls mit dem Schweißbrenner vom Eise befreit. Oder: Fenster kann man im ICE schon lange nicht mehr öffnen. Dafür haben irgendwelche Knallköppe Klimaanlagen eingebaut, die versagen, wenn man sie braucht. Fehlen nur noch Schilder, die potentzielle Selbstmörder auffordern, sich doch bitte hinter die Bahn zu werfen statt davor. Fortschritt geht anders.

Jetzt schimpfe ich schon wieder auf Ingenieure? - Nein, bewahre! Ich lästere bloß mit Begeisterung über Knallköppe mit Ingenieurexamen, die jeden Blödsinn machen, den man von ihnen verlangt, über Mädels mit Stilettos auf Kopfsteinpflaster und Autofahrer mit Sommerreifen in Eis und Schnee. Nein: Heute schneit es, und endlich gibt es Ruhe und Platz in der Stadt. Dagegen ist nun wirklich nichts zu sagen. Endlich mal Zeit zum Ablästern! Alles andere ist für die Katz, echt.

Is was, eh? - Du störst, Mann!