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Sonntag, 8. Mai 2011

Meine Wien-Reise I: Oper statt Poesie



Von einer Reise, die nicht zu den Rauriser Literaturtagten, sondern in die Wiener Staatsoper führte

"Anna Bolena" von Gaetano Donizetti hatte sich Grit für unsere Reise nach Wien gewünscht - und zwar in einer Starbesetzung mit Anna Netrebko (Anna), Elina Garanca (Seymour) und Ildebrando d´Arcangelo (Heinrich VIII), mit dem Orchester und Chor der Wiener Staatsoper. Dirigent: Evelino Pidò. Regie: Eric Génovèse. Bis es aber so weit war, hatten wir erst Pech und dann Glück - Dank Grits energischer und charmanter Art, sich über Unglück zu beklagen. Aber am besten beginne ich vorn und erzähle, wie es ins in der ersten Aprilwoche nach Wien trieb statt zu den Rauriser Literaturtagen, die ich so schätze.

Vor über einem Jahr hatte Grit im Internet Karten für diese Aufführung bestellt - direkt bei der Oper, was ein Fehler war. Denn man beließ es bei der Information, wir seien auf der Warteliste - verständlich - und man werde uns rechtzeitig über das Ergebnis des Wartens informieren. Im Dezember 2010 wurde es dann höchste Zeit, einen Flug und ein Hotelzimmer zu buchen, denn sonst hätten wir vielleicht Karten gehabt, aber kein Dach über dem Kopf. Im Februar 2011 fragte Grit dann höflich per E-Mail nach, was denn mit unseren Karten sei, und bekam ziemlich lakonisch die Antwort: "Nichts", leider sei bei so eiuner Starbesetzung die Nachfrage sehr groß und es gebe überhaupt keine Karten mehr. Nun hätte fast jeder aufgegeben, nicht aber meine Grit: Sie schrieb eine E-Mail an Herrn Meyer, den neuen Intendanten der Wiener Staatsoper, und beschwerte sich. Sie hätte die Karten zu ihrem runden Geburtstag bestellt, man habe ihr versichert, sie rechtzeitig zu informieren, und nun sitze sie auf Flugtickets und Hotelbuchung ohne Karten: Ob das der neue Stil der Staatsoper sei, Werbung im Ausland zu machen?
Dabei verzichete sie sogar noch auf den Hinweis, dass ihr Mann Kritiker sei und gelegentlich sehr giftige Bemerkungen  machen könne, wenn man ihm Anlass dazu gebe. Mangelhafte Professionalität bei sehr hochpreisigen Dienstleistungen wäre so ein Anlass, füge ich bescheiden hinzu.



24 Stunden später hatte sie eine Entschuldigung - und die Karten. So weit die Kurzfassung dieses Abenteuers, es gäbe auch eine längere. Dann war es so weit, und am 5. April bewunderten wir schon im Treppenhaus die labyrinthische Schönheit dieses Hauses: Jugendstil, Wohlklang und verirrte Musikfreunde aus Nicht-Wien, die kaum in der Pause den Weg zum Buffet, zum Klo - und vor allem: zurück zu ihrem Platz - fanden.
Festlich gekleidet, dem Anlass angemessen, fiel uns hier auch kein Student der Musik- oder Kulturwissenschaften im selbstgestrickten Schlabberpulli auf wie schon öfters in Baden-Baden, Stuttgart oder Karlsruhe (von Heilbronn ganz zu schweigen). Wir wollten Grits Geburtstag und uns selbst feiern, die glücklichen Umstände und vor allem die großartige Musik, die uns erwarten würde. Wir waren voller Erwartungen, hatten aber keine Ahnung, was uns erwarten würde.
Erwartungen, die man nicht hat, können auch nicht enttäuscht werden, deshalb ist so eine Gemengelage wie die unsere gefühlsmäßig riskant. Aber es hat sich gelohnt, in jeder Hinsicht alle nur möglichen Erwartungen gehegt zu haben. Es hilft immer noch, das Glück dieses Abends zu ermessen, zu vermessen und ordnen.


 
Der Zuschauerraum strahlt eine ebenso gediegene wie altmodische Ehrfurcht vor der hier gebotenen Hochkultur aus, wozu allerdings nicht ganz passen will, in welchem "Stil" der äußere Bühnenvorhang gestaltet wurde. Aber so etwas lässt sich ja ohne großen Aufwand und blitzschnell auch mal ändern.

Doch dann hob sich der Vorhang, und trotz der erkennbar mäßigen Karten (Grit hat von ihrem Sitz aus fotografiert, also vom 1. Balkon links) hob sich auch unsere Stimmung sofort. Wir kennen und lieben "Anna Bolena" schon länger, aber was hier geboten wurde, war einfach überwältigend. Die Presse hatte sich schon bei der Premiere überschlagen und von einem "Operngipfel" geschrieben; ich zitiere das, weil der Kollege dort einfach Recht hatte. Deshalb will ich mich da auch nicht mit eigenen Lobes-Wortgirlanden einmischen. Der Applaus war aber auch diesmal ähnlich lang, und das völlig zu Recht.


Wir werden noch lange davon zehren, selbst wenn die Netrebko nach der Vorstellung schneller aus dem Haus war als wir (Kunststück, sie spielt ja schon eine Weile hier und kennt den Laden), die wir doch so gern noch ein Autogramm gehabt hätten. Sie zog es wohl vor, mit der Garanca essen zu gehen (die war auch nicht mnehr da). Dass sie seit der Geburt ihres Sohnes gern isst, sieht man, aber ihrer Stimme ist es sehr gut bekommen. Na, beim Autogrammejagen fanden wir einen sehr entspannten und netten Arcangelo vor und eine sehr nette, jugendliche Elisabeth Kulmann, die einen hinreißenden Smeaton gesungen hatte. Ich war verblüfft, wie unbeschädigt ihre langen roten Haare unter der Kurzhaarperücke wieder zum Vorschein gekommen waren, die sie für ihre Hosenrolle getragen hatte.

Nur ein Wort noch zum Thema "Opernkarten in Wien": Ein Freund, den wir kurz darauf trafen, lachte über diese Geschichte und meinet: "Da ist Wien so korrupt wie Bulgarien oder sonst ein Land auf dem Balkan." Hier funktioniere das nur über Kartenbüros und nicht über die Vorverkaufskasse der Staatsoper selbst. Diese Büros verlangen einen Aufschlag von 25 Prozent, und manche Hotels, die mit ihnen zusammen arbeiten, nehmen auch noch mal einen Zuschlag.
Aber dafür weiß, wer ein Hotel mit Opernkarten für eine bestimmte Vorstellung zu einem bestimmten Tag bucht, auch sicher, dass er das Gewünschte bekommt. Das macht Wien so teuer, aber alle sind glücklich damit: Die Oper braucht sich nicht wirklich um den Verkauf ihrer Karten zu kümmern und kann sich auf die Kunst konzentrieren, die Kartenbüros beschäftigen zusätzliche Kartenverkäufer und die Hotels haben einen Nebenverdienst. Apropos Nebenverdienst: Ein paar Stunden vor der Vorstellung, da hatten wir unsere Karten längst in der Tasche, sprachen uns Schwarzmarktverkäufer und Mitarbeiter legaler Kartenbüros vor der Oper an; es gab noch Karten, ab 250 € aufwärts. Unklar blieb, für welche Kategorie. Unsere Karten waren 3. oder 4. von 5 Kategorien und kosteten 90 € das Stück...



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