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Freitag, 4. Februar 2011

Raffinierte Schlichtheit: Lyrik von Christine Langer


SWR2 Buchkritik:
Christine Langer: „Findelgesichter“. Gedichte. Verlag Klöpfer & Meyer, Tübingen. 110 S., 16 €

Findelgesichter“ heißt der neue Gedichtband von Christine Langer, und da vertieft die Ulmerin ihre sensiblen Erkundungen der Natur und ihrer Wahrnehmung. Im Titelgedicht ihres Buches geschieht dies besonders vollkommen und konzentriert in haikuhafter Kürze:

Die großen liegen auf den kleinen

Findelgesichter Kalk- und Kieselgestein:

Blinkende Muschelphantasie fürs Kinderauge

Wenn es Exemplarisches gibt in diesen Gedichten, dann ist es aber weniger die Kürze, sondern eine fragile Balance aus Klängen und Bildern in sorgsam durchkomponierten Wortgebilden. Es sind Texte, die eine hohe Schule des poetischen Stilllebens vorführen, von spröder, häufig gebrochener Rhythmik, aber trotzdem voller Musik: ein eigenartiger Effekt. Hören Sie exemplarisch „Szenen“:


Schweben als ob und Wolkenrot Schweben Schalenkleid

Mehr Glut Meerhimmel

Am Abend Jahre

im Blick der Möwe in einem Blick

Violinen meerblaues Licht die Gischt die Wasserfarbe

die Wellenregung

Der Gang durch wärmenden Klang Gesang Wind

Schweben als Korn ins Gras fallend schweben ein Katzenhaar

Luft

Die Lust solange sie hält schwebt fällt wiederkommt schon naht

Die Nacht sie steigt auf hüllt den Blick der Möwe

Ihr Gesuch den weiten Ruf das Schreien und Schweben

Leise nimmt das Dunkel stimmt die Kühle ein

Es singen noch Stimmen erklingen

Ertönen Etüden Erdtöne sinken vertiefen

verschwimmendes Gold



Da wird ein Rhythmus aufgenommen: „Schweben als ob“ - und gleich wieder fallen gelassen zu Gunsten spontaner Stab und Binnenreime, die leicht erregbar und flüchtig die Wasserscheide zwischen realer Beobachtung und fiktionalen Traumelementen kräuseln: „Gang, Klang, Gesang.“
Da entstehen klingende Bilder und sprachlich sehr bewegliche Experimente. Die Autorin hat hier keine Liebeslyrik vorgelegt, aber sie lässt die Natur auf eine Art und Weise sprechen, die man nur sinnlich nennen kann: „Die Lust solange sie hält schwebt fällt wiederkommt“. Ganz zufällig steht Lust im unauffälligen Klammerreim mit Luft.

Ganze zwölf Mal spricht ein lyrisches Ich, ein Du gibt es nur sieben Mal. Lediglich ein einziges Mal Gelehrsamkeit, mit dem Zitat, das im Titel eines Gedichts auf Marcel Proust hinweist: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Aber das ist auch schon wieder ironisch relativiert mit dem drastischen Einbruch der Landwirtschaft in die ach so poetischen Landschaftsbilder:


„ein Geruch von Dung mischt sich ins Lautlose, das sich in jeder Sekunde erneuert und den Augenblick auffrischt“.

Sind diese Naturgedichte auch beinah menschenleer, so wimmeln sie doch von Leben. 18 Katzen bevölkern sie, allein zehn Krähen, dazu Möwe, Habicht, Falke, Eule und Schwan. Aber auch Pflanzen und Steine scheinen unter dem Blick dieser Autorin lebendig zu werden – und sei es als Findelgesichter und Muschelphantasie fürs Kinderauge. In acht Abschnitte ist dieser Gedichtband gegliedert, deren sprechende Titel Lust machen aufs Weiterlesen: „Vogelbeerherzen“, „Findelgesichter“, „Mondlichtpfützen“, „Stimmgabeln“, „Reifgespinste“, „Abgaswolken“, „Pinselstriche“ und „Wahrzeichen“ versammeln jeweils Gedichte, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln geschrieben sind: verträumt, analytisch, nüchtern-sachlich, manchmal elegisch oder auch rauschhaft-hexenfröhlich:


Unruhe im Unterholz

Ein Tummeln und Tollen

In dunklen Gängen wie duftet

Das Gestrüpp

Bei diesem Gezwitscher

Gekreische bis in die Wipfel die

Blaue Fetzen auf den Boden werfen


Diese Gedichte kommen nicht laut, sonder leise daher, vermeiden die großen Gesten und sind gerade darum so nah am Leser. Christine Langer schreibt von einer Wirklichkeit, die jeder kennt, aber noch lange nicht jeder wahrnimmt. Es gibt keine künstlichen Wortschöpfungen, keine laute Zeitgenossenschaft, sondern nur raffinierte Schlichtheit darin.