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Sonntag, 30. Januar 2011

Von Tunis und Kairo nach Stuttgart: Demonstrationen für echte Demokratie


Ben Ali in Tunis ist bereits weg, in Kairo wackelt der Diktator Mubarak, und in Deutschland wird bald gewählt. Vor der Stuttgarter CDU-Zentrale forderten gestern 40 000 Demonstranten einen neuen politischen Kurs - weg vom aktuellen Trend zu einer Berlusconi-Diktatur bei CDU und FDP, und hin zu einer echten Demokratie. Wie sollen wir von der arabischen Welt fordern, sie solle Demokratie und Bürgerrechte anerkennen, wenn wir selbst zunehmend das Gegenteil tun? Mit welchem Recht klagen wir Wahlfälschungen und Unterdrückung in Weißrussland und in der Ukraine an? Immer mehr Menschen fangen an, aktiv vor der eigenen Tür zu kehren, denn da liegt der Schmutz meterhoch:
In Stuttgart regiert z.B. ein CDU-Bürgerneister, der erst kürzlich zugab, 300 Millionen für die Sanierung von Schulen anderweitig ausgegeben zu haben. Die Straßen sind voller Schlaglöcher, weil die Kommunen kein Geld nehr für Streugut haben, denn Berlin spart auf ihre Kosten bei Bildung und Sozialleistungen. Die Bahn soll privatisiert werden und wird deshalb erst einmal kaputt gespart. Nichts funktioniert mehr, aber für Stuttgart 21 haben die Regierungen Milliarden. Das geht nicht so weiter. In Europa wird ja nicht einmal verhindert, das Ungarn die aktuelle Ratspräsidentschaft bekam, obwohl die ungarische Regierung erst zum Jahresbeginn die Pressefreiheit abgeschafft und die Zensur wieder eingeführt hat!
Antidemokratische Tendenzen gibt es ja nicht jur in Berlusconi-Land, sondern auch in Russland (Putin braucht man nicht mehr zu beschreiben), den USA (das illegale Foltergefängnis Guantanamo ist immer noch nicht geschlossen, nach wie vor entführt der Geheimdienst u.a. deutsche Staatsbürger, die des Islamismus verdächtig sind oder versucht mit illegalen Methoden, Gegner wie Wikilieaks in die Knie zu zwingen), Frankreich (Präsident Sarkozy geht mit dem Geheimdienst gegen unliebsame Journalisten vor) - und so weiter.
Aber auch klirrender Frost hält die Gegner des korrupten Prestigeprojekts Stuttgart 21 nicht davon ab, für mehr Demokratie und Respekt vor dem Wohl der Bevölkerung auf die Straße zu gehen. Und so lange Angela Merkel, Stefan Mappus und ihre Parteifreunde nichts Besseres zu tun wissen, als jeden Tag Tausende anders denkender Demokraten in Deutschland und Baden-Württemberg zu beleidigen, sind sie die besten Wahlkampfhelfer der Grünen. Am 27. März wird sich zeigen, wer hier rückständig und gegen den Forschritt ist. CDU und FDP denken am Volk vorbei. Und das wird sich rächen: Der schwarze Filz hat ausgedient und lange genug regiert.

Freitag, 7. Januar 2011

Peter O. Chotjewitz ist tot – ein Paradiesvogel ohne Paradies

Ein politischer Kopf, der uns fehlen wird

Irgendwie war er ein Paradiesvogel unter uns: einer, der schon 1965 sein erstes Buch geschrieben hat, ist nicht ganz alltäglich in unseren Reihen. Einer, der im Zeitalter der Punk-“Mode“ und der Röhrenjeans grundsätzlich im Anzug herumlief, aber einmal Andreas Baader von der RAF verteidigt hat und deshalb zu Recht im chronischen Verdacht radikalen Denkens stand, der deshalb die politische Bewegung gegen „Stuttgart 21“ als Aufbruch in ein neues Zeitalter der Demokratie in Deutschland feierte; einer, der als gelernter Anwalt das Wort wählte und nicht den Honorarscheck; einer, der viele war, ist nicht mehr. Der Verband Deutscher Schriftsteller (VS) in Baden-Württemberg trauert um sein langjähriges Mitglied Peter O. Chotjewitz. Der Verein Stuttgarter Schriftstellerhaus trauert, aber auch die Kolleginnen und Kollegen im Literaturhaus, bei Theatern und Galerien trauern. Das ist der ordentliche Gang der Dinge, aber es kommt verdammt noch mal einfach zu früh. Ich hätte ihn gern besser kennen gelernt.

Wie der Berliner Verbrecher Verlag, bei dem mehrere seiner Bücher erschienen sind, mitteilte, starb Peter (Pit) O. Chotjewitz am 15. Dezember 2010 nach längerer Krankheit im Alter von 76 Jahren in Stuttgart, wo er seit 1995 gelebt hatte. Erst vor zwei Wochen hatte er zusammen mit seiner Frau, der Künstlerin Cordula Güdemann, im Literaturhaus Stuttgart sein letztes von rund 40 Büchern vorgestellt: „49 VIPs“, gemalt und in 13 so genannten Simultantexten beschrieben.

In seinen Romanen, Gedichten, Artikeln und zahlreichen Erzählungen setzte sich dieser Kollege und Freund vieler Kollegen, der 1934 in Berlin geboren wurde, immer wieder mit der Geschichte politische motivierter Gewalt auseinander. Er studierte Jura in Frankfurt und München, war kurze Zeit tatsächlich Rechtsanwalt (Wahlverteidiger von Andreas Baader) und schrieb über diese Erfahrung das Buch „Die Herren des Morgengrauens“. Noch 2007 war sein letzter großer Roman „Mein Freund Klaus“ dem RAF-Anwalt Klaus Croissant gewidmet. Er liebte aber auch Italien: Das Essen, die Kultur, die Toscana oder Rom, wo er einst als Stipendiat der Villa Massimo das Flanieren lernte, aber auch das Temperamente der engagierten Rede und die Sprache, aus der er gern übersetzte.

Sein Stil war der eines juristischen Florettfechters. Sein Auftreten mit Dreiteiler, Hut und Stock erinnerte an den Salzburger Lyriker H.C. Artmann, der auch ein aufrechter Linker war und den Eindruck einer Romanfigur von Joseph Roth oder Thomas Mann machte. Er war ein Flaneur und nahm regen Anteil am kulturellen Leben. Aber er fühlte vor allem „links, wo das Herz ist“, um es mit dem fast vergessenen Romancier Leonhard Frank zu sagen. Einer seiner letzten sozialpolitisch engagierten Texte war im Jahr 2006 ein Vortrag über „Tendenzen in der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung – Arbeitsperspektiven der Kunst- und Kulturberufe“. Da konnte man ihn noch so richtig wütend erleben, und dafür liebten wir ihn. Das ist sein Erbe: die gesunde Wut auf all die Ungerechtigkeiten, die er so zum Kotzen fand, die sein Schreiben fast durchgehend prägte. Die können wir wachhalten. Da war er ein Vorbild.

Aber nicht nur Wut war sein Markenzeichen (und sicher auch ein Stück weit Lebenselexier), sondern auch Stil. Peter O. Chotjewitz war lange krank und wusste, das es mit seinen Kräften zu Ende ging. Wie Irene Ferchel, die ihm näher stand, in der „Stuttgarter Zeitung“ schrieb, gab er mit seltener Selbstironie ein Dossier zu überstandenen Therapien ab, das zukünftige einschloss: „Ich bin zuversichtlich, dass es auch diesmal nichts nutzen wird“. So ähnlich hat er wohl auch die politische Lage der Republik charakterisiert. Er war ein Paradiesvogel, der nicht glaubte, in einem Paradies zu leben. Aber wo er war, da war dieses Land immer ganz wach und nicht gerade Italien, aber doch ziemlich interessant.

Donnerstag, 6. Januar 2011

Ein Gedicht fürs neue Jahr

So fängt der Januar an in dem schönen Wetzstein-Gedichtkalender aus dem Verlag Klöpfer & Meyer in Tübingen. Diese von Hand geschriebenen Gedichte sind liebevoll und sachkundig ausgewählt - ein wunderbares Geschenk fürs ganze Jahr.

Ich wünsche meinen Freunden, Kollegen und Zufallslesern die Geborgenheit, die Dietrich Bonhoeffer hier meint.

Wie dieser Gott bei uns ist, bleibt oft ein Rätsel. Er schweigt gern. Er lässt sich am Telefon verleugnen, ist aber nicht unsichtbar für das dritte Auge des wachen Beobachters. Er liebt offene Fragen, auch wenn ich häufig mehr Lust auf Antworten habe. Und er bittet um Vertrauen: eine zutiefst menschliche Haltung.