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Donnerstag, 21. Oktober 2010

Aufstand der Konservativen

Horacio Castellanos Moya: „Der schwarze Palast“. Roman: 
Aus dem Spanischen von Stefanie Gerhold. S. Fischer Verlag, 
Frankfurt a.M., 333 S., 19,95 €

Nach Mittelamerika im Jahr 1944 führt der Roman „Der schwarze Palast“ von Horacio Castellanos Moya. Der Autor stammt aus Honduras, jenem kleinen Land zwischen Guatemala, El Salvador und Nicaragua. Er beschreibt in El Salvador eine der typischen Militärdiktaturen, unter denen diese Länder im Wechsel mit Bürgerkriegen und Naturkatastrophen gelitten haben. Ihr Zentrum ist die Polizeizentrale der Hauptstadt, der „schwarze Palast“. Hier sitzt der Journalist Periclés wegen Kritik an der Politik des Diktators in Haft. Seine Frau Haydee führt Tagebuch.

Bei früheren Arresten durften einige Freunde, die die Genehmigung des Obersts bekamen, meinen Mann besuchen, und ich aß jeden Mittag und Abend mit ihm zusammen in diesem Zimmer das Essen, das ich mit Maria Elena zubereitet und mitgebracht hatte. Jetzt sitzt Periclés abgeschieden in dieser Zelle… Aber er schien so etwas erwartet zu haben. Sein einziger Kommentar war: „Wie man sieht, hat dieser Mensch große Angst.“ Mein Mann sagte nie General oder Präsident, auch nicht Nazihexer, wie ihn mein Vater und seine Freunde nennen, sondern immer nur „dieser Mensch“.

Periclés, Leutnant der Reserve, einst Botschafter in Brüssel und persönlicher Berater des Präsidenten, ist wegen sachlicher Kritik an der gewalttätigen Willkürherrschaft „dieses Menschen“ in Ungnade gefallen, genießt aber aber als politischer Häftling noch Privilegien. Sein Vater ist Oberst und Großgrundbesitzer, sein Schwiegervater Provinzgouverneur, seine Mutter die Tochter eines Plantagenbesitzers. Man denkt demokratisch und liberal. Haydee hat ein Hausmädchen, und der Chauffeur ihres Vatersbringt sie trotz der Ausgangssperre zu Verwandten und Freunden, wo sie ein Netzwerk zur Befreiung der politischen Gefangenen aufbaut.
Der Widerstand formiert sich bei Kaffee und Kuchen oder bei Totenwachen für die jungen Offiziere, die nach einem gescheiterten Putschversuch erschossen wurden. Haydees ältester Sohn ist zum Tode verurteilt und auf der Flucht, weil er im Radio vorschnell die Verhaftung des Diktators verkündet hat. Betito, ihr Jüngster, hilft, einen Generalstreik zu organisieren. Das Geld dafür sammelt Haydee bei den Eltern und befreundeten Unternehmern. Vor allem die Frauen demonstrieren vor dem Gefängnis.

Die Menschenmenge brodelte, immer mehr fielen in den Chor ein, das Rufen wurde immer lauter und kämpferischer: „Freiheit! Freiheit! Freiheit!“ Zuerst fürchtete ich mich, aber als ich mich zu Betito und meinen Freundinnen umdrehte, sah ich, dass auch sie in die Protestrufe eingestimmt hatten und die Fäuste in die Luft reckten. Ich machte mit. …Dann richteten die Gardisten die Gewehre auf uns. Ich hielt panisch nach Betito Ausschau, doch er rief wie die anderen immer weiter, ohne sich einschüchtern zu lassen.

Nicht linke Bauern und Arbeiter stürzen schließlich den Diktator, sondern das ganze Volk. Die Akteure gehören zur Ober- und Mittelschicht. Aber es ght dabei nicht um Ideologie, sondern um Menschlichkeit, das höchste Gut der Demokratie. Allein aus Abscheu vor der Arroganz der Mächtigen wird Periclés Kommunist. Einmal sagt er zu seinem Freund Chelón, einem Maler:

Dreck am Stecken haben alle, Chelón. Aber auf irgendeiner Seite muss man stehen.

Die scheinbar naive Perspektive im Tagebuch der höheren Tochter Haydee wirkt sehr glaubwürdig. Da spricht keine Linke, sondern eine, die in die Kirche geht. Zwischen fünf Kapiteln aus der Sicht dieser Ich-Erzählerin berichten vier Kapitel in der dritten Person von der Flucht des ältesten Sohnes. Ein Schlusskapitel beleuchtet die ganze Geschichte noch einmal aus einem gänzlich anderen Blickwinkel, und der ist besonders reizvoll: 30 Jahre und einige Aufenthalte im Exil später erzählt der Maler Chelón vom letzten Tag seines besten Freundes Periclés. Seit Haydees Tod kommt er regelmäßig zum Mittagessen bei Chelón, diesmal direkt aus dem Krankenhaus. Er hat Lungenkrebs und wird sich am Abend erschießen – nach einem letzten guten Gespräch und einer letzten guten Zigarre.

Es sind genau die, die auch Fidel Castro raucht, hat der Botschafter versichert“, merkte ich an. Der Alte bedachte mich mit einem gütigen Blick; ich wusste, dass mein Freund nach dem Sieg der Revolution ein Jahr als eine Art lokaler kommunistischer Botschafter auf Castros Insel gewesen war. Das war wenige Monate nach Haydees Tod gewesen. Die Ablenkung half ihm bestimmt über den Schmerz hinweg.

Ein wunderbares Buch: unsentimental, aber von tiefer Menschlichkeit macht es klar, warum Unmenschen Menschen so hassen, die sich nicht einschüchtern lassen.


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