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Samstag, 6. Februar 2010

Untertöne und Obertöne

"nördliches Fenster": Gedichte und kleine Prosa von Marcus Neuert, Edition Octopus im Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat OHG Münster 82 S., 7.30 €)

"Tage wie kalte Watte
die Sonne ist ein Mond im Nebel
jeder Schritt geht ins Leere
und sucht seinesgleichen
rufst du ruft keiner zurück
bleibst du stehn
setzt die Zeit aus
für einen Zeilen
sprung"

Solche Texte sind nicht nur aufmerksamer Naturbeobachtung, sie spiegeln auch die seelische Verfassung des Beobachters - etwas, dass an manchen Tagen bei bestimmten Wetterlagen allgemein um sich greift: Stimmungen. Präzise, ohne Umwege, innen und außen ganz ohne Schnickschnack. Am Schluss gibt es sogar eine Pointe, auch das ist nicht selbstverständlich, auch nicht bei guter Lyrik. Und ich zögere nicht, hier von guter Lyrik zu sprechen, obwohl dem kritischen Zerpflücker solcher Bände schon ungewöhnlich positiv auffällt, wenn ein Drittel der Texte darin onne Wenn und Aber makellos gelungen sind. Ein weiteres Drittel käme in den Papierkorb, wenn denn ein Lektor den Mut hätte, so zu entscheiden, und das letzte Drittel enthält immerhin vielversprechende Ansätze. Nur sind Dinge auszumerzen, die mal eine Marotte aus Anfängertagen sein können, mal eine tonale Unsicherheit, oder auch Abgegucktes (etwa manchmal ein kleines Kokettieren mit verbrauchtem Bildungsbürgererbe) von falschen Lehrern und ein wenig fehlender Mut für die ganze Konsequenz eines Gedankens, einer Formulierung: nichts, was nicht auch ein Versprechen wäre für den Fall, dass dieser Autor seine Arbeit nicht aufgibt.

Zum Beispiel oben: Nur der Titel stört mich bei dem zitierten Gedicht; das heißt eigentlich nicht einmal der, sondern nur die schwächliche Tatsache, dass er so unentschlossen in Klammern gesetzt ist: [weiß]. Eine solche Klammer leistet bei näherem Hinsehen nichts, was nicht auch anders geht. Man muss das, was ist, nie verstecken: Es gibt ja wirklich diese weißen Tage in Schneesturm oder Nebel. Das stimmt einfach, und dazu kann man auch stehen ohne zu wackeln. Und oft in diesem Büchlein liest man Texte, die wie kleine Partituren eine oberflächliche Hauptstimme haben, zu der spielerische Obertöne kommen und eine Reihe ernsthafter stimmungstragender Untertöne. Marcus Neuert macht Kammermusik mit Wörtern. Ein hohes Ziel, eine schwierige Sache, die nicht immer gut geht.

"Alle schon abgereist und mit unbekanntem Ziel" heißt es über historische Familienbildnisse in einem norddeutschen Schloss - na ja, das wurde fast wortgleich schon zu oft gedruckt, um noch originell zu sein. Da hängt das eine oder andere handwerklich in bisschen schief. Z.B. auch die Straße, auf der "nur Sand ist und seit Jahren - " na was wohl? - "niemandmehr erwartet wird". Schade, aber meist nicht irreparabel. Man muss nur hart am Wind bleiben und Rilke-Wendungen meiden wie "ins halb geschlossne Aug" oder so; man möchte sich reiben und denkt an Mücken. Auch kunstvolle umarmende Reime versucht Neuert, spielt sehr locker und ziemlich souverän mit dem formalen Schatz bisheriger Lyrik. Aber nur wer nicht schießt, schießt auch nie übers Ziel hinaus. Wer spielerisch kreativ sein will, muss ausprobieren und patzen dürfen.
Neuert nimmt Posen ein, gefällige oder weniger glatte, auch ironische, ohne darin zu erstarren. Er tanzt, er spielt mit den Wörtern, und darum ist er so oft ganz Mensch und wirklich Künstler in diesem Buch.

Ich traf Neuert gestern, am Freitag, vor der Vernissage eines gemeinsamen Freundes in der Stuttgarter Galerie INTER Art, einem Treff für Künstler aller Fakultäten: Günter Guben, Autor und Maler, ehemaliger Regisseur beim SDR/SWR, hat dort bis März eine große Werkschau. So spielerisch Marcus Neuert in seinen Gedichten, so spielerisch handhabt Guben Pinsel, Buntstifte und Farbe. Abstrakt meist, aber niemals ohne Aussage: Humorvolle Gedankenlyrik mit witzigen Titeln, die das Ganze doch recht konkret in der Phantasie verankern. Und die funktioniert ja bekanntlich ohne die Wahrnehmung von Außenwelt in der "Realität" nicht - was jeder Hirnforscher inzwischen weiß.
Klaus Bushoff hielt eine fachkundige Einführung, Günter eine launigen Rede, die Räume waren rappelvoll: ein Fall für den Fotoapparat. Nur bekam ich zum ersten Mal lange keines der Bilder in diesen Blog - verrückt, nicht? Außerdem schickt mir Günter seit Jahren so wunderbare Zeichen-Briefe, dass die hier unbedingt exemplarisch zu zeigen wären. Aber mit Geduld und Spucke...



Hier steht Günter Guben (Mitte) zusammen mit Marcus Neuert (rechts) und der Lektorin Gerlinde Reinl.

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