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Sonntag, 5. April 2009

Ein Klassiker abseits des Literaturbetriebs

Karl Lubomirskis neue Gedichte: "Palinuro"
Berenkamp Verlag, Hall in Tirol/Wien, 128 S., 14,90 €.

Aufmerksame Leser haben es sicher schon bei seinen früheren Gedichtbänden bemerkt ("Propyläen der Nacht", dem Sammelband früherer, längst vergriffener Bücher, aber auch den Veröffentlichungen der letzten Jahre wie "Tempo naufragato- Gekenterte Zeit" oder "Raumfremde"): Karl Lubomirski ist längst ein Klassiker, oder, wenn man es nicht so statisch ausdrücken mag, ein Vertreter jener aufgeklärten Renaissance, die von Italien aus aus ganz Europa kulturell und politisch geprägt hat. Seit über 30 Jahren lebt er in Italien - erst beruflich und dann familiär sowie atmosphärisch gebunden. Die griechische Antike, Rom, Byzanz: das ist ihm näher als die lyrischen Formschulen des 20. Jahrhunderts. Begriffe wie "modern" oder "postmodern" taugen nichts bei dem Versuch, diesen Dichter zu verstehen.

Der Titel "Palinuro"steht für Palinurus, den Steuermann des Äneas. Der Schwiegersohn des Priamos und Gegner des Achill war nach dem Untergang Trojas auf der Suche nach einer neuen Heimat. Und obwohl sein Steuermann vor dem Erreichen des Zieles starb, hatte er doch den richtigen Kurs gesetzt und Äneas kam mit seinen Männern an. Neubeginn also als Flagge, Zeichen und Botschaft, aber kein unbelasteter Neubeginn nach allem, was war. Immerhin:

Man kann sich
Aus der ganzen Welt
In ein einziges Herz
Zurückziehen.

Lubomirski verfügt spielerisch über den gesamten strengen Formenkanon der Lyrik. Er hat ihn aber bereichert um Elemente der japanischen Haikus, jener Kurzgedichte, die dem Aphorismus verwandt sind, die er aber ebenfalls nicht einfach ins Deutsche kopiert, sondern wie alle lyrische Erbmasse nur als Anregung nimmt und abwandelt, formal und inhaltlich durchdekliniert mit einer Philosophie, die Schönheit im Angesicht von Vergänglichkeit und Vergblichkeit nicht sinnlos findet. Im Gegenteil: Schönheit, vor allem die der Sprache und daher auch Poesie, ist ihm die einzig bleibende Wertanlage überhaupt.

Die Poesie der Klänge und Gedanken, wie Lubomirski sie schafft, erscheint als internationale Währung von unzerstörbarer Geltung. Sie steht über Inflation, Sinn- und Finanzkrise, auch weil sie niemals auf den Markt oder gar auf Moden spekuliert hat, sondern stets "nur" einfach Dchtung sein wollte, sonst nichts. Wie passend, dass er dafür voriges Jahr den Literaturpreis von Kalabrien bekam: der ist undotiert, aber international und sehr angesehen - wie Lubomirski und sein Werk. Unscheinbar, aber ewig und klassisch der Ort dieses Preises: Castrovillari, wo noch ein römisches Kastell steht, wo aber auch die Griechen waren. In dieser Gegend starb der Westgotenkönig Alarich, hier lag Byzanz (Istanbul!) oft näher als Rom. Diese geistige Nähe aufzugreifen, genügt ein einziges Wort in einem Gedicht, das aus nur zwei Wörten besteht:

Gebetsteppich
Erde
Ortlosigkeit, Einsamkeit ist die logische Folge für einen Menschen und sein Werk, der sich so sehr dem Aktuellen, den Moden, den Gruppenzwängen und Marketing-Forderungen verweigert wie Lubomirski. Aus einem alten polnischen Adelsgeschlecht stammend, in Österreich geboren, in Italien zu Hause und folglich in Deutschland so gut wie unbekannt: Das tut schon weh, aber das ist nicht alles im Leben. Es gibt Gründe, nachrichtig zu sein. Das Geld des Erfolgs braucht er nicht, die Anerkennung der Menschen, die ihn nicht verstehen, ebenso wenig. Sein Werk atmet diese Einsamkeit, aber eben ohne je bitter zu werden. Im Gegenteil: Versöhnung ist ihm stets ein besonderes Anliegen, wie in dem typischen Kurzgedicht:

Kinder aus Bagdad

Sie können nicht schwimmen
Und ertrinken im Hass.

Ich will hier nicht mehr zitieren, weil diese kleine Besprechung keine philologischen Grundlagen würdigen kann, und weil es möglich ist, in jener Kürze, die Lubomirski so liebt, Inhalte zu umreißen: Umwelt, Natur, Liebe, Menschlichkeit, Ehrfurcht vor den großen Kulturleistungen der Menschheit wie Kunst, Philosophie und Religionen. Davon hat er immer gesammelt und konnte nie genug bekommen auf zahlreichen Reisen. Auch über die hat er geschrieben, aber seine Essays sind ein anderes Thema.