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Sonntag, 15. Februar 2009

Neue Lyrik


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Marica Bodrozic: „Lichtorgeln“ Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg, 110 S., 19 €

Der neue Gedichtband von Marica Bodrozic wirkt wie eine lyrisch verdichtete Fortschreibung ihres Erzählbandes „Der Windsammler“. Hier wie dort entspricht der gegenseitigen Durchdringung von Träumen, Bobachtungen, Märchen und autobiographischen Alltagsbezügen eine Durchdringung unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen und Stilmittel. Die Autorin erzählt auch in Gedichten gern Geschichten, und ihre Prosa ist poetisch durch Bildhaftigkeit und Tonfall.

HINTER DEM KNORRIGN OLIVENBAUM, das Singen der Zeit. Die Sonne schreibt das Blatt. Das Meer reicht der Olive die Hand. Der Mediterran, mein Ursprung in die heitere Beständigkeit. Eine Lichtorgel aus gesiebten Stunden, ungefeierten Kindergeburtstagen und den nach Australien ausgewanderten Nachbarn: Der Kaffee serviert sich von selbst, ungeachtet der Nostalgie, der Verwirrungen und Tränen. Das Rätsel für das Kind: Wie haben sie alle zusammen das Meer erwandet? Über das Meer gehen, das kann doch nur EINER!

Zum Bodrozic-Kosmos gehören mediterranes Licht, Heiterkeit, Traurigkeit, Kindheitserinnerungen, das Rätsel der Zeit und Dinge, die sich verselbständigen. Die „Lichtorgeln“ aus dem Titel sind keine Lichtmaschinen in Diskotheken, sondern eine Metapher, die sich der Eindeutigkeit entzieht. Und doch klingt der rhythmische Wechsel der Gemütsfarben und Stimmungen mit. Auf ihren Lichtorgeln die Autorin spielt alle Tonleitern durch – zwischen Realismus und Märchen, Scherz und Ernst.

VOR MEINEM FENSTER waren Lichtorgeln aufgestellt worden, das Baugerüst hatte man abgenommen. An den Orgeln hingen viele Menschen… Arme waren zu sehen, Ohren, Füße, mit und ohne Schuhe, ganz viele Augen, eine Augenwoge schaute in mein Zimmer. Was macht ihr da!, fragte ich, etwas unbeschwingt, das ist doch mein Fenster. Schließlich war durch den Betrieb an den Lichtorgeln der ganze Himmel verdeckt, ich sah nicht einmal mehr die Bäume von gegenüber, selbst die Wipfel schienen etwas von mir Erdachtes zu sein.

Eltern, Geschwister, Marilyn Monroe, Katharina von Siena, Frida Kahlo, Woolf, Marina Swetajewa, Teresa von Avila und Ingrid Bergmann finden sich im Gespräch miteinander und mit dem lyrischen Ich. Das will die Abgründe zwischen Zeiten und Welten überspannen wie die Brücke von Mostar und bietet vieles, nur keine Sicherheit:

Verlasse dich nicht auf das lyrische Ich. Es ist erfunden. Aber: natürlich, nur dort ist es zuhause. Quer zwischen meinen sechs Leben liegt eine hingedachte Brücke.

Die Welt zeigt sich als Zwischenwelt. Wortschöpfungen leuchten auf: „Lichthandel“, „Angstmonarch“, „hängende Luftaltäre“, „Herzlücken“, „Hautnachbarschaft“, eine „gemandelte Trauer“. Viele der Texte sind auf so klare Weise unverständlich, dass sie neue Deutungen und Bedeutungen geradezu erzwingen. Die Regeln von Interpunktion und Grammatik, sogar die Naturgesetze sind teilweise aufgehoben. Da zeigt sich etwas Rebellisches, vielleicht am schönsten in einem der ungewöhnlichen Liebesgedichte:

Er ist fast verrückt geworden, wenn ich die Wörter rückwärts sprach. Einmal hat er es mir verboten, ich sollte die Wörter nie mehr rückwärts sprechen. Dann habe ich ihn verlassen. Es ging nicht mehr. Ich kann nicht mit einem Menschen frühstücken, der mir Wörter von rechts verbietet, überhaupt, wenn jemand etwas verbietet, ich kann da nicht schlafen, die Träume verlassen mich.

Wo scheinbar die formale Strenge rhythmisch gebrochener Zeilen fehlt, entsteht vieldeutige Verdichtung auf der Suche nach Transzendenz: etwas Kompaktes, manchmal Schwieriges, aber nie Schweres, das in der Phantasie des Lesers nachhaltig weiter arbeitet. Ein schmales Buch, komprimiert und voll gepackt wie eine ZIP-Datei: Diese Gedichte führen bis an die Grenzen der Sprache.

So verloren war ich/ dass ich immer nur Fragen stellte. Keine Antworten mehr/ die Fragen, unbedürftig. Niemand harrt da aus/ niemand/ wenn das Nicht nur nicht ein Nicht wäre, dann wäre es vielleicht eine Blume/ habe ich damals gedacht/ die uns erlöst und über das Ganze stellt. Das Reden: aufgehoben. Es gäbe gar nichts zu sagen.