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Dienstag, 8. Dezember 2009

Die Fitti-WG in Baden-Baden




Mein neuer Lebensraum im Dezember

Aus dem Urlaub zurück bei SWR2 in Baden-Baden und mein Zimmer in der Pension "Haus Mathilde" anderweitig vermietet - da fand sich Bastian Schneeberger als Nothelfer. Er zieht um, ich bekam seine Bude in der so genannten "Fitti-WG" für die erste Zeit. Nette Jungs sind das, direkt beim SWR in der Fremersbergstraße über dem bekanntesten Feinkostladen Baden-Badens. Von links nach rechts auf dem Foto: Nils stehend, Johannes und Besucher Jonas. Nils und sein Mitbewohner Kota(ro)Dürr (kleines Bild) arbeiten bei SWR DASDING, Computerfreak Johannes bei SWR3. Technisch sind sie aber alle gut drauf.

Donnerstag, 12. November 2009

BIONADE - eine gebraute Limo ohne Alkohol

SWR 2 Buchkritik (Sachbuch) Bettina Weiguny: “Bionade – Eine Limo verändert die Welt“Eichborn Verlag, Frankfurt a. M., 246 Seiten, 19,95 €.

Die Geschichte von unglaublichen Aufstieg einer Kult-Limonade namens BIONADE hat einfach zu viel von einem Märchen. Zu viel ist passiert, das man nüchtern betrachtet „unmöglich“ oder “unglaublich“ nennen müsste. Und deshalb erzählt die Freiburger Wirtschaftsjournalistin Bettina Weiguny nicht nur eine verrückte, sympathische Familiengeschichte oder vom Durchbruch einer Erfindung. Sie hat ein Stück Wirtschaftsgeschichte geschrieben, das gerade in schlechten Zeiten Mut macht.

Dazu gehören eine Landschaft, eine Idee aus Chemie und Technik sowie eine Handvoll Menschen, die auch haarsträubende Fehler machen, aber einfach nicht aufgeben. Auf ihrer Homepage stellt sich die BIONADE GmbH als junges, innovatives Familienunternehmen vor, das biologisch hergestellte, alkoholfreie Limonade verkauft.
Aber der innovativste Teil der Familie ist der älteste: Braumeister Dieter Leipold. Über zehn Jahre tüftelte er zäh an der Idee einer Limonade ohne Alkohol: nicht angemischt, nicht gerührt, nicht geschüttelt, sondern nach den Regeln des Reinheitsgebotes gebraut – nach Ansicht von Fachleuten ein Ding der Unmöglichkeit.
Dieter Leipold heiratet die Brauerei-Erbin Sigrid Peter in Ostheim, einer bayerischen Kleinstadt im Biosphärenreservat Rhön: eine schöne, aber gottverlassene Gegend. Sogar die Wolle der Rhönschafe ist zu kratzig für Socken oder Pullover. Außer guter Luft gibt es hier so gut wie nichts.
Mitte der 80er Jahre, als Leipold die ersten Experimente macht, ist die Brauerei schon pleite. Wie pleite, merkt seine Frau erst 1993 beim Tod ihres Vaters. Da halten die Gläubiger nicht länger still. Den drohenden Konkurs bekämpft die ganze Familie an den Zapfhähnen und Plattentellern der hauseigenen Diskothek. Gut ein Jahr später werden die ersten Flaschen mit BIONADE abgefüllt.
Doch mühsam ernährt sich das Eichhörnchen: Der Name klingt zu sehr nach Öko, die Lebensmittelbürokraten kennen keine gebraute Limo, und es finden sich keine Vertriebspartner. Um BIONADE unters Volk zu bringen, muss investiert werden, aber die dafür nötigen Einkünfte bleiben aus. 1999 droht wieder mal das Ende, und als ob die Dramaturgie jetzt überhaupt keine Ideen mehr hätte, hat Frau Peter-Leipold einen Lotto-Sechser und kann der Firma mit 1,4 Millionen auf die Beine helfen.
Anfang 2004 steht BIONADE noch einmal vor dem Aus. Da sind die Familienunternehmer schon erfolgreich, unterschätzen aber in ihrer genialischen Wurstelei die Sturheit von Banken und Finanzämtern in Terminsachen. Die Autorin erklärt anschaulich, wieso es gerade diese Brauerei schließlich schafft, das Blatt zu wenden: Wie BIONADE dank falscher Etiketten aus Ungarn, Guerrilla-Marketing und harter Arbeit zum Kult-Getränk wird – erst in Hamburger Szene-Clubs und dann in den Kantinen der Medienhäuser. Was die Existenz der Firma immer wieder akut gefährdet hat, wie sie sich zum echten Öko-Betrieb wandelt, vom verachteten Außenseiter zum begehrten Bündnispartner und Arbeitgeber in der Region aufsteigt.
2008 wurden in Deutschland weit über 200 Millionen BIONADE-Flaschen verkauft, mehr als beim direkten Konkurrenten RED BULL. Der Familienbetrieb plant die Expansion ins europäische Ausland und sogar in die USA, das Stammland des Giganten Coca Cola.
Um dem Geheimnis dieses Erfolgs auf die Spur zu kommen, hat Bettina Weiguny zwei Jahre lang die Familie begleitet, aber auch Gerichtsvollzieher, Insolvenzverwalter, Händler, Konkurrenten und Werbeleute befragt. Aber kaum war das Buch fertig, kam die Krise. Die holte im Winter auch die Überflieger aus der Rhön zurück auf den Teppich. Doch nach einer Zitterpartie in den kalten Monaten stiegen die Absatzmengen zu Beginn der Frühlingswärme höher denn je, berichtet die Firma auf Nachfrage. Auch wenn Geschäftskunden Probleme haben, Lokale schließen oder Absatzeinbußen erleben: BIONADE-Trinker sind anscheinend ähnlich krisenfest wie die Fans eines Fußballclubs.

Freitag, 12. Juni 2009

Tolles Eröffnungskonzert in Ludwigsburg

Isabelle Faust und das Orchester der Ludwigsburger Schlossfestspiele unter Leitung von Michael Hofstetter hätten für den Start der Saison Besseres verdient als die miese Kritik der "Stuttgarter Zeitung". Die meinte an Hofstetter herummäkeln zu müssen, bloß weil der schon durch mangelndes Vertrauen der Stadtoberhauptes und des designierten neuen Intendanten aus dem fernen Ruhrpott angeschlagen ist. Das Konzert war nämlich sehr schön, aber anscheinend können die Stuttgarter wenig mit Felix Mendelssohn Bartholdy anfangen, dem das ganze Programm gewidmet war: Die Ouvertüre zum "Sommernachtstraum", dann sein Violinkonzert e-Moll und zum Abschluss seine Sinfonie A-Dur op. 90, die immer neue "italienische", deren 1. Satz jeder kennt.
Herausragend geradezu spielte die Violinvortuosin Isabelle Faust: Gänzlich unprätenziös, aber filigran, kraftvoll und inspiriert. Der Komponist hätte seine Freude daran gehabt.

Donnerstag, 11. Juni 2009

Grundsteinfest in Stuttgart

Die Grundsteinlegung der neuen Stadtbibliothek in Stuttgart begann mit dem feierlichen Begräbnis des ersten Buches in eben diesem Grundstein (rechts vorn - sieht aus wie ein Kamin am Boden). Ein skurriler britischer Humorist hätte da Absicht gewittert, aber was Bibliotheksdirektorin Ingrid Bussmann sich da ausgedacht hatte, war unfreiwillige Komik.
75 Millionen EURO soll der Bibliotheksbau kosten, dabei haben die Stuttgarter Stadtbibliotheken seit Jahren kaum Geld für die Anschaffung von Büchern und für Veranstaltungen. Sie mussten bei den Autoren sogar die Beiträge für dieses "erste Buch" der neuen Zentralen Stadtbibliothek zusammenschnorren. Deshalb hatte ich eher eine Arme-Leute-Veranstaltung erwartet und kein Büffett mit Sekt und Jazz-Band. Aber jetz wissen wir wenigstens, wofür im Konjunkturpakt II Geld da ist, wenn schon nicht für Personalstellen. Nicht wahr?
Bauarbeiter als Beerdigungsmannschaft, die uns Festgemeinde gleich zuschütten - und die Jazzband zuerst: So hätte man das sehen können. Einige der anwesenden Autoren sahen das auch so, aber ihre halblauten Kommentare verwehte der Wind mit dem Staub der Großbaustelle "Stuttgart 21" hinter dem Hauptbahnhof (der dafür ja bekanntlich abgerissen werden soll). Was aus diesem Umfeld nach den letzten Kommunalwahlen wird, aus denen die Grünen als stärkste Fraktion hervorgegangen sind, weiß niemand.



Deshalb griff sich OB Schuster auch schnell noch diesen Grundstein. Der koreanische Architekt Eun Young Yi meinte jedenfalls, im Untergeschoss werde es eine U-Bahnstation geben. Der Mann plant perfekt auch schon die eigene Zukunft: den Wiederaufbau seines Kulturwürfels, der im Lauf der ersten 10 Jahre nach Inbetriebnahme durch die Erschütterungen durchfahrender Bahnen das Schicksal des Kölner Stadtarchivs teilen dürfte. Aber ein "Einbruch ist kein Beinbruch", wer sagte das so hübsch? die Leute bei Lehman Brothers? Oder OB Wolfgang Schuster, dessen Zeit als leichtfüßiger CDU-Kobold der Kulturverarschung und Bürgermissachtung wohl zu Ende geht? Dieser Mann ist nicht nur der größte Dummschwätzer der Stadt, sondern auch ein Rätsel der CDU-Parteipolitiki: Wie konnte man je so einen hohlen Typ so weit nach oben wählen? Der lügt sich als "Erbe der politischen Kultur Manfred Rommels" durch den Tag und hat schon drei Tage nach seiner Wahlniederlage nichts Besseres zu tun, als die grüne Mehrheit offen zu beleidigen. Die Bürger und Wähler nimmt er er zu Geiseln seiner miesen Denkart, wenn er meint, was wohl aus Investoren und Arbeitsplätzen würde, wenn die Stadt kein verlässlicher Partner mehr sei. Was dieser Mensch unter "verlässlich" versteht, kann mir gestohlen bleiben. Sein Konterfei jedenfalls finde ich inzwischen weit weniger originell als diesen Schnapp-Schuss (oben).

Die Lyrikerin Katja Hajek (vorne) war nicht die einzige Autorin, die den quasi asiatischen Auftrieb nur mit einem Lächeln quittieren konnte. Und wie alle anwesenden Urheber der Bücher, die den ganzen Bau einst füllen werden, hielt sie sich verbal zurück.
Reden schwangen der Oberbürgermeister, der Kulturminister des Landes Baden-Württemberg, die Frau Bibliotheksdirktorin und der Herr Architekt. Das langt noch für Jahre.

Samstag, 6. Juni 2009

Das höchst gelegene Schwefelbad Deutschlands

Hotel Prinz-Luitpold-Bad in Hindelang
Das war mein Domizil bei einer Gesundheitswoche meiner Krankenkasse. Das 140 Jahre alte Haus liegt in ca. 950 m Höhe und gleicht in Lobby und Eingangsbereich einer Antquitätensammlung mit schönen Möbeln und Teppichen. Das angenehmm warme Schwefelbad (gut gegen Rheuma und für die Haut) und die Saunalandschaft sind in dem länglichen Hanggrundstück ziemlich onorthodox hintereinander gewurstelt, aber ok. Das Essen ist sehr gut, die Bedienung freundlich, das Niveau der Preise moderat. Der einzige Wermutstropfen: Es besteht großer Renobvierungs- und Modernisierungsbdarf vpo allem im Bereich der Zimmer und Seminarräume. Da liegen überall noch milbenverseuchte Teppichböden aus den 60er Jahren oder PVC-Böden, die an eine Jugendherberge erinnern. Schade, aber das kann ja noch werden. Das Besondere: Man arbeitet mit Krankenkassen zusammen, die einen satten Zuschuss von 150 € pro Woche an ihre Mitglieder zahlen, wenn sie dort ein Seminar besuchen und praktisches Training machen. Außerdem gibt´s für die Teilnahme Punkte in einem Bonusheft, das Anfang nächsten Jahres noch einmal eine Erstattung meiner KV von 140 € wert ist. Prima, oder?

Das Pflichtseminar kann alles mögliche sein, vor allem für Herz-Kreislaufpatienten und Menschen, die von Rückenschmerzen oder Stress geplagt sind. In meinem Fall war es eine Kombination aus Rückenschule und Autogenem Training.
Letzteres vor allem macht natürlich nur Sinn, wenn ich daheim weiter übe. Die Atmosphäre der Kurse und im Haus war allerdings dazu angetan, mich dazu wirklich zu motivieren. Die Leitung war kompetent und einfühlsam, die Teilnehmer engagiert.

Schon während keines Aufenthaltes hatte ich Spaß daran, mich auf dem Zimmer weiter in Entspannung zu üben. Das war bei DER Aussicht aber auch nicht schwer. Noch besser wurde es durch die goldenen Hände von Kathrin. Mit nur zwei Massagen (mehr war nicht sinnvoll in fünf Tagen) schaffte sie es, mich von einer Zerrung im Rücken zu kurieren, die ich seit zwei Jahren mit mir herumgeschleppt hatte. - Anscheinend nachhaltig. Ohne der weiteren Entwicklung vorgreifen zu wollen: Ich hatte ja noch zwei Wochn Urlaub. Und in dieser Zeit habe ich nicht nur ein Feature über "Die Zukunft" des Schlaflabors" geschrieben, sondern auch vier Runden Golf gespielt, ohne gesundheitlich Schaden zu nehmen. Im Gegenteil. So ganz nebenbei und eigentlich nur zum Spaß habe ich an Pfingsten ein Turnier mitgespielt, den 9. Platz belegt und mein Handicap von 24,2 auf 23,8 verbessert.

Freitag, 5. Juni 2009

Urlaub im Mai

Im Mai hab ich zwar einiges erlebt, aber das werde ich peu a peu nachliefern, denn ich hatte Urlaub und wollte auch mal faul sein.
Bücher hab ich gelesen, da kommt was.
Im Allgäu war ich wieder, da kommt auch was.
Twitter probier ich aus - dazu auch ein bisschen.
Und Musik haben wir erlebt.
Außerdem wurden neue Sendungen fertig: längere Sachen, die viel Zeit gekostet haben (über die Zukunft des Schlaflabors und eine seltsame Globalisierungform: Amazonasindios haben einen Schweizer adoptiert). Aber dafür gibt´s auch interessante Abfallprodukte, die nach und nach auf diersem Bliog auftauchen werden.
Bis dann!

Freitag, 1. Mai 2009

Waalwege in Südtirol

Am vorigen Wochenende war ich wieder in Südtirol, genauer: in Glurns, der Geburtsstadt des Zeichners Paul Flora im Oberen Vinschgau. Glurns ist ein mittellterliches

Städtchen und liegt nahe am Eingang zum Matschtal unterhalb des Reschenpasses. Am oberen Ende des Tals namens Vinschgau liegt das Kloster Marienberg (der "Potala" des
Vinschgaus), am unteren Ende die Stadt Meran.

Südtirol ist ziemlich trocken, und deshalb gibt es hier seit dem Mittelalter Bewässerungskanäle, die Schmelzwasser aus den Gletscherregionen manchmal viele Kilometer bis auf die Felder im Tal leiten. Stundenlang kann man über die "Waalwege" entlang der Wasserleitungen im steilen Bergwald laufen. Erst diese Wasser-Bauwerke haben aus dem Vinschgau eine blühende Agrarlandschaft gemacht, heute eines der größten Obstbaugebiete Europas. Aus dem Vinschgau kommt jeder zweite Apfel bei uns im Supermarkt.

Sonntag, 5. April 2009

Ein Klassiker abseits des Literaturbetriebs

Karl Lubomirskis neue Gedichte: "Palinuro"
Berenkamp Verlag, Hall in Tirol/Wien, 128 S., 14,90 €.

Aufmerksame Leser haben es sicher schon bei seinen früheren Gedichtbänden bemerkt ("Propyläen der Nacht", dem Sammelband früherer, längst vergriffener Bücher, aber auch den Veröffentlichungen der letzten Jahre wie "Tempo naufragato- Gekenterte Zeit" oder "Raumfremde"): Karl Lubomirski ist längst ein Klassiker, oder, wenn man es nicht so statisch ausdrücken mag, ein Vertreter jener aufgeklärten Renaissance, die von Italien aus aus ganz Europa kulturell und politisch geprägt hat. Seit über 30 Jahren lebt er in Italien - erst beruflich und dann familiär sowie atmosphärisch gebunden. Die griechische Antike, Rom, Byzanz: das ist ihm näher als die lyrischen Formschulen des 20. Jahrhunderts. Begriffe wie "modern" oder "postmodern" taugen nichts bei dem Versuch, diesen Dichter zu verstehen.

Der Titel "Palinuro"steht für Palinurus, den Steuermann des Äneas. Der Schwiegersohn des Priamos und Gegner des Achill war nach dem Untergang Trojas auf der Suche nach einer neuen Heimat. Und obwohl sein Steuermann vor dem Erreichen des Zieles starb, hatte er doch den richtigen Kurs gesetzt und Äneas kam mit seinen Männern an. Neubeginn also als Flagge, Zeichen und Botschaft, aber kein unbelasteter Neubeginn nach allem, was war. Immerhin:

Man kann sich
Aus der ganzen Welt
In ein einziges Herz
Zurückziehen.

Lubomirski verfügt spielerisch über den gesamten strengen Formenkanon der Lyrik. Er hat ihn aber bereichert um Elemente der japanischen Haikus, jener Kurzgedichte, die dem Aphorismus verwandt sind, die er aber ebenfalls nicht einfach ins Deutsche kopiert, sondern wie alle lyrische Erbmasse nur als Anregung nimmt und abwandelt, formal und inhaltlich durchdekliniert mit einer Philosophie, die Schönheit im Angesicht von Vergänglichkeit und Vergblichkeit nicht sinnlos findet. Im Gegenteil: Schönheit, vor allem die der Sprache und daher auch Poesie, ist ihm die einzig bleibende Wertanlage überhaupt.

Die Poesie der Klänge und Gedanken, wie Lubomirski sie schafft, erscheint als internationale Währung von unzerstörbarer Geltung. Sie steht über Inflation, Sinn- und Finanzkrise, auch weil sie niemals auf den Markt oder gar auf Moden spekuliert hat, sondern stets "nur" einfach Dchtung sein wollte, sonst nichts. Wie passend, dass er dafür voriges Jahr den Literaturpreis von Kalabrien bekam: der ist undotiert, aber international und sehr angesehen - wie Lubomirski und sein Werk. Unscheinbar, aber ewig und klassisch der Ort dieses Preises: Castrovillari, wo noch ein römisches Kastell steht, wo aber auch die Griechen waren. In dieser Gegend starb der Westgotenkönig Alarich, hier lag Byzanz (Istanbul!) oft näher als Rom. Diese geistige Nähe aufzugreifen, genügt ein einziges Wort in einem Gedicht, das aus nur zwei Wörten besteht:

Gebetsteppich
Erde
Ortlosigkeit, Einsamkeit ist die logische Folge für einen Menschen und sein Werk, der sich so sehr dem Aktuellen, den Moden, den Gruppenzwängen und Marketing-Forderungen verweigert wie Lubomirski. Aus einem alten polnischen Adelsgeschlecht stammend, in Österreich geboren, in Italien zu Hause und folglich in Deutschland so gut wie unbekannt: Das tut schon weh, aber das ist nicht alles im Leben. Es gibt Gründe, nachrichtig zu sein. Das Geld des Erfolgs braucht er nicht, die Anerkennung der Menschen, die ihn nicht verstehen, ebenso wenig. Sein Werk atmet diese Einsamkeit, aber eben ohne je bitter zu werden. Im Gegenteil: Versöhnung ist ihm stets ein besonderes Anliegen, wie in dem typischen Kurzgedicht:

Kinder aus Bagdad

Sie können nicht schwimmen
Und ertrinken im Hass.

Ich will hier nicht mehr zitieren, weil diese kleine Besprechung keine philologischen Grundlagen würdigen kann, und weil es möglich ist, in jener Kürze, die Lubomirski so liebt, Inhalte zu umreißen: Umwelt, Natur, Liebe, Menschlichkeit, Ehrfurcht vor den großen Kulturleistungen der Menschheit wie Kunst, Philosophie und Religionen. Davon hat er immer gesammelt und konnte nie genug bekommen auf zahlreichen Reisen. Auch über die hat er geschrieben, aber seine Essays sind ein anderes Thema.

Freitag, 20. März 2009

Fröhliche Untergeher und zerstrittene Minderheiten

Neue Reportagen von Karl-Markus Gauß:

Die fröhlichen Untergeher von Roana - Unterwegs zu den Assyrern, Zimbern und Karaimen. Zsolnay Verlag, Wien, 158 S., 17,90 €

Es ist schon seltsam, was für wunderbare Bücher keiner meiner Kollegen Literaturkritiker für so besprechenswert hält, dass er mir dafür fünf Minuten Sendezeit gäbe. Über Gauß habe ich schon mehrfach geschrieben; man könnte also wissen, was für ein großartiger Beobachter und Autor das ist. Aber oft scheint eben der letzte verlogene Schund von Peter Handke wichtiger, bloß weil er neu ist. Also an dieser Stelle wenigstens: auf zu neuen Minderheiten.

Etwas gewagt ist die These von Gauß ja schon, nach der die Assyrer oder Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche oder ethnisch definiert Syriaken in Schweden eine besondere Heimat gefunden hätten. Tatsächlich flohen sie (und fliehen immer noch) aus dem Grenzgebiet zwischen der Türkei, Syrien und dem Irak in alle Länder, die sie aufzunehmen bereit sind. Erst gestern verkündeten unsere Medien, dass es 120 aus dem Irak ins Aufnahmelager Friedland gesachafft haben und von Ihresgleichen herzlich begrüßt wurden. Ich sah Fernsehbilder von weinenden Menschen, die sich umarmen, und einen hilflosen Lagerverwalter, der seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, sie würden gut integriert.

Im Zweifel werden sie ins Ghetto zu Ihresgleichen ziehen. Und das hat gute wie schlechte Seiten, wie jedes Ghetto. Es gibt Heimat und grenzt zugleich aus. Dass die irakischen Assyrer derzeit von muslimischen Fanatikern gejagt und umgebracht werden, ist bekannt. Dass die türkischen inzwischen weniger Opfer türkischer Vertreibung sind als einer Landnahme von Kurden, die als potenzielle PKK-Symtathisanten von der türkischen Armee aus ihren anatolischen Dörfern vertrieben wurden und sich nun aus "Dorfschützer" progromtechnisch an den christlichen Assyrern austoben, beschreibt Gauß in gewohnt differenzierter und kluger Weise. Er beschreibt auch die immanenten orientalischen Traditionalismen bis hin zu Zwangsheirat und Blutrache, die den Assyrern keineswegs fremd sind, nur weil sie in christliche Kirchen gehen.

Dieses Elend habe ich schon vor Jahren in Heilbronn persönlich erlebt, als ein syrisch-orthodoxer Pope flammende Reden des Protestes gegen das etwas schwule Theaterstück "Corpus Christi" hielt. Peinlich, wie unaufgeklärt und intolerant diese Sippschaft daherkam, die doch von unseren Steuern und unserer Toleranz lebt. Und noch peinlicher, als nur wenige Monate später derselbe Pope wegen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt wurde. Was für eine Einstellung zum "Patriarchat" verbirgt sich da hinter Asylanträgen! Es ehrt die aus der zweiten und dritten Generation, dass sie anders denken als die Alten. Nur ist daher die Gemeinde untereinander heillos zerstritten - bis hin zu Mordanschlägen. Wenig christlich das.

Die Reise zu den Zimbern möchte ich eines Tages auch machen: Das sind vielleicht wirklich übrig Gebliebene von den berüchtigten "Kimbern und Teutonen", die 105 v.Chr. der Schrecken Roms wurden und sich heute noch in einigen wenigen Hochtälern bei Verona finden. Bevor sie ganz aussterben, möchte ich ihren Homor kennen lernen, ihr seltsames Althochddeutsch aufnehmen, ihre Lieder hören und ihre Geschichte kennen lernen. Anscheinend gibt es noch zwei-drei Dörfer mit vielleicht 500 Menschen, deren Alltagssprache Germanisten wie mir bislang entgangen ist. Schande! Spannung! Solche Entdeckungen macht er, der Karl-Markus Gauß.

"An den Karaimen bin ich aber gescheitert", schreibt er mit herrlichem Understatement bei dieser litauischen Minderheit, die teils christliche, teils jüdische, teils offenbar muslimische Wurzeln hat und sehr unabhängig sein will. Seine Recherche fördert doch ungeheuer viel zu Tage über diese aussterbende ethnische Winzigkeit, die als Palastgarde des Großfürsten von der Krim nach Litauen kam und sich so gut mit den Krimtataren verstand. Heute allerdings ist nicht einmal mehr ihr Sekretariat zu finden. Gauß schreibt sehr zum Schmunzeln über ein Kulturzentrum, das E-Mails aus einer Briefkastenfirma in einem Abbruchhaus verschickt. Wahrscheinlich wissen ihre Mitglieder weniger über sich selbst dieser liebevolle Sammler von Minderheiten in Europa.

Björn Bicker: illegal. Das Buch der Sprachlosen

Björn Bicker: illegal. Verlag Antje Kunstmann, München, 126 S., 14.90 |€.

Der Autor ist ein Dramaturg, das merkt man beim Lesen. Er hat - eigentlich dokumentarisch - Stimmen von illegalen Bewohnern Deutschlands gesammelt und zu einem eindringlichen Buch zusammen gestellt. Man könnte das Rollenprosa nennen - Texte aus dem Blickwinkel Betroffener: schonungslos, hart, manchmal kaum zitierfähig. Einer kommt aus Kurdistan und wurde gefoltert, aber die deutschen Behörden wollten dafür eine Quittung - sonst keine Anerkennung als Ayslbewerber. Da könnte ja jeder kommen. Also jobbt er schwarz, studiert und lebt in einem 6-Quadratmeter-Loch ohne Fenster. Eine andere kommt aus Ecuador, war dort Sekretärin, macht hier die Putzfrau und Babysitterin und schickt das Geld an die ahnungslose Familie. Einer kommt aus der Ukraine und hat studiert. Er ist hier, sagt er ohne Selbstmitleid (das hasst er), weil es zu Hause nichts zu holen gibt, so einfach ist das für manche. Zu Hause müsste er einen Monat arbeiten, um zweihundert Euro zu verdienen - wenn er überhaupt Arbeit fände:

wozu habe ich drei sprachen gelernt. ich habe eine band gegründet. mit juri meinem freund. wir proben. zweimal die woche. ich lese bücher. ich arbeite. das geht ganz gut. immerhin. ich lebe in deutschland. in münchen. darauf bin ich stolz. musst halt ein bisschen aufpassen. die denken ihre polizei ist gut. das ist lächerlich. die polizei ist beschissen. diese polizei ist am arsch. verschlafen. das sind lauter ängstliche familienväter.

Da kann man nur froh sei, dass der niemandem Böses will und sogar Mitleid hat mit diesen Familienvätern. Illusionslos erzählt der Ukrainer von den Deutschen, die ihm Arbeit geben, und von der polnischen Konkurrenz:

die geben dir arbeit weil du billig bist und keine fragen stellst. das ist keine halbwelt. das sind ganz normale leute. die haben kohle weil sie wissen wo sie sparen können. für mich ist das gut. aber es kommen immer mehr. irgendwann wird´s eng. und gefährlich. jetzt sind diese blöden polen in der eu und machen die grenzen dicht. trotzdem. es kommen immer mehr.

Solidarität? Fehlanzeige, zumindest nach außen hin. Innerlich ist dieser Ukrainer dann doch ein Mann, der die Nöte seiner Landsfrauen beschreibt, die in München auf den Strich gehen und in Lviv heiraten, der um seine Freundin mit dem kaputten Gebiss trauert und einen Freund hat, der mit dem Trauma aus der russischen Armee, aus der er desertiert ist, einfach nicht klarkommt. Deutschland als Dschungel, das ist längst die Realität:

ich spreche vier sprachen ziemlich perfekt. deutsch englisch russisch ukrainisch. die arbeit die ich hier mache ist nicht so schlecht. umzüge. garten. ab und zu ein bisschen dolmetschen. manchmal helfe ich ein paar autos zu vermitteln. das sind geldmäßig die besten jobs. aber da musst du aufpassen. das sind üble typen die das machen.

Neues von José Cura

Vielseitigkeit ist eine verkannte Stärke des Tenors
Im Mai vergangenen Jahres hat Achim Thorwald, der Intendant des Badischen Staatstheaters Karlsruhe, eine engere Zusammenarbeit mit dem argentinischen Tenor José Cura verkündet. Am 15. März war es so weit: Cura sang in einer Galavorstellung die Hauptrolle der Oper „Andrea Chenier“ von Umberto Giordano, und wie schon voriges Jahr bei Curas „Carmen“-Gala dirigiert Jacques Delacôte. Am Ende gabs stehende Ovationen für die ganze Truppe, vor allem aber für Cura. Zu recht (und nicht nur weil der André Chenier so ziemlich die schwerste Monsterrolle der Opernliteratur für Tenöre ist, für die es derzeit sonst niemanden gibt).Auch für den Karlsruher Opernball am 9. Mai hat sich Cura angesagt. Aber das Publikum soll den Sänger auch als Dirigenten und Regisseur erleben.

„Samson und Dalila“ mit Olga Borodiná war vor zehn Jahren seine erste Gesamtaufnahme. Im Herbst 2010 soll José Cura diese Oper von Camille Saint-Saens in Karlsruhe inszenieren, das Bühnenbild entwerfen und bei der Premiere auch die männliche Hauptrolle singen. Ist das noch professionell?

Cura: Ich glaube, der Begriff „Profi“ ist etwas bescheidener als der Begriff „Künstler“. Das sage ich mit allem Respekt, denn ein Profi zu sein ist kein Makel, keine Erbsünde. Es ist eine demütige Beschränkung auf die Grenzen, die uns das Leben aufzeigt: Bis zu dem und dem Punkt kann ich etwas, und ich versuche, das zu beherrschen. Das ist sehr gut, nicht mehr und nicht weniger. Ein Künstler dagegen riskiert letzten Endes einfach mehr. Nur solche Leute verändern etwas.

José Cura ist 1962 in Argentinien geboren und in einem mediterranen Ambiente aufgewachsen: der Vater libanesischer Herkunft, die Mutter halb Italienerin, halb Spanierin. Er ging seinen Mitmenschen aber nicht als früher Badezimmer-Caruso auf die Nerven, sondern besuchte die Kunstschule der staatlichen Universität in seiner Heimatstadt Rosario. Das heißt, er absolvierte die Schauspielschule, nahm intensiv Gitarrenunterricht und studierte beileibe nicht nur Gesang. Vielseitigkeit aber steht bei vielen Kritikern unter Generalverdacht.

Cura: Böse Zungen sagen, dass ich dirigiere, weil ich als Tenor keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Aber ich mache verschiedene Sachen, weil sie mich interessieren. Ich bin neugierig. Außerdem ist meine Karriere umgekehrt verlaufen. Ich habe als Chorleiter angefangen und wurde erst mit 30 Sänger. Von der Ausbildung her bin ich Dirigent und Komponist. Ich habe auch bei kleineren Stücken Regie geführt. Zu singen begonnen habe ich erst viel später.

Mit 23 ging José Cura als Stipendiat an die Kunstschule des Teatro Colón in Buenos Aires. Und nach einigen Jahren im Opernchor wollte er mehr. 1991 zog er mit seiner Familie nach Europa – erst nach Verona, dann Paris und schließlich Madrid. Er gab Konzerte, experimentierte und debütierte an ziemlich vielen Bühnen.
1994 gewann er den „Operalia“-Wettbewerb von Plácido Domingo. Seine erste CD „Puccini Arias“, bei deren Aufnahme Domingo dirigierte, zeigt, warum. Durch den Telekom-Werbespot von Paul Potts hat jeder die Arie "Nessun dorma" aus "Turandot" im Kopf. Aber man sollte erst mal hören, was Cura damit macht!

Als Otello, als Don José in „Carmen“ oder Samson, der Krieger in Liebesketten, ist er in seinem Element. Das sind Rollen, die den Mann als Macho zeigen, grundlos oder begründet eifersüchtig, abhängig von seinen Hormonen und gefangen in den Widersprüchen starker Gefühle.
Seine Stimme hat mit den Jahren an Volumen gewonnen. So gelingt ihm auch bei leisen Tönen Ausdrucksstärke. Schöne Beispiele dafür finden sich auf der CD „Anhelo“ – Sehnsucht – aus dem Jahr 1998. Da singt er lauter Lieder argentinischer Komponisten, viele nach Texten von Pablo Neruda. Dabei sind auch Aufnahmen des Komponisten José Cura.
Die Met in New York, die Wiener Staatsoper, die Mailänder Scala, London, Paris, Zürich, Berlin, Stuttgart: Plötzlich wollten ihn alle haben, und er konnte nicht nein sagen. Er reiste um die Welt und sang – auch Rollen, die er heute ablehnt. Es ging ihm ähnlich wie Rolando Villazón durch den Hype mit Anna Netrebko, meint Cura selbstkritisch.

Cura: Rolando ist wohl genau das passiert. Gottseidank hat er seine Lektion gelernt, hat sich erholt und ist wieder da. Und das ist gut, denn er hat ein großartiges Talent und eine sehr schöne Stimme. Mit Rolando ging alles zu schnell, und das hat ihm geschadet.
Im Jahr 2000, als auch seine Plattenfirma „Erato“ eingestellt wurde, legte José Cura alles Geschäftliche in die Hände seiner Frau und besann sich auf seine Vielseitigkeit. Gleichzeitig wurde er wählerischer und lernte, auf Kompromisse zu verzichten.
Inzwischen ist er Erster Gastdirigent der Sinfonia Varsovia, gibt Meisterkurse, fotografiert, macht Bücher und hat ein eigenes CD-Label. Manche Künstler, sagt Cura, zum Beispiel Rolando Villazón, sind wie Kristallvasen: strahlend, transparent und zerbrechlich.

Cura: Andere, wie zum Beispiel ich, sind eher Gefäße aus Holz. Die sind härter und halten mehr aus. Mir ist das Gleiche passiert wie Rolando, aber ich habe ein breiterer Kreuz. Ich bin körperlich kräftiger gebaut und anscheinend auch stimmlich widerstandsfähiger. Ich habe diese Feuerprobe durchgestanden. Das überlebst du, um davon zu erzählen, und jetzt bin ich da, wo ich bin, zum Glück.

Sicher nicht zufällig hat Cura einen weiblichen Fan-Club. Verständlich, der Mann mit den schwarzen Locken und dem grau melierten Bart sieht ja wirklich gut aus. Und seinen Resonanzkörper trainiert er auch im Fitness-Studio. Für José Cura ist Oper nicht nur eine musikalische Disziplin, sondern auch intellektuelle Herausforderung, Theaterspiel und Sport. Dementsprechend bewegt er sich auf der Bühne. Er liebt die schwitzenden, maßlosen, drastisch lebenden Charaktere, die nackten Gefühle ohne Sicherheitsnetz, hat er einmal gesagt.
Der sinnliche Kontakt zum Publikum ist seine Droge: etwas, das sich eben nicht downloaden lässt. Dafür hinterfragt er Klischees, wechselt Perspektiven, probiert immer wieder etwas Neues aus.

Cura: Die Leute erwarten das oder hoffen darauf. Der Künstler soll Maßstäbe setzen, darum geht’s doch. Sonst könnten wir so weiter machen wie vor 150 Jahren: Nicht gut, nicht schlecht, aber eben wie vor 150 Jahren. Das heißt: neue Standards zu schaffen ist Teil unserer Aufgabe.

Donnerstag, 19. März 2009

Einschaltenquoten sind irreführend

Media-Daten sind methodischer Unsinn

Schlechter Geschmack ist messbar, guter nicht. Das suggerieren jedenfalls die Einschaltquoten, und genau deshalb sind sie Unsinn. Die GFK hat derart große Ungenauigkeiten in ihren Messverfahren und stützt sich bei ihren Befragungen auf so kleine Gruppen, dass nur echte Hypes auffallen. Die liegen meist unterhalb der Grenze guten Geschmacks und können z.B. für ein Kulturradio nicht maßgeblich sein. Doch weiß schon unklar ist, was wir unter gutem Geschmack verstehen, wird erst gar keiner gemessen. Dabei wäre das doch mal eine angemessene Aufgabe für wirklich kreative Köpfe...
Trotzdem lassen sich alle Vierteljahr die Rundfunk-Gewaltigen davon in Begeisterung oder Depression stürzen, ganz gleich ob in Hörfunk oder Fernsehen. Abgesehen davon, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einen Auftrag haben, der sich nicht an Quoten misst, sammelt die GFK die Daten für ihre Quoten nicht mit Meßmethoden, sondern per Telefonumfragen und Hochrechnungen. Und die sind sehr anfällig für Missverständnisse, Fehleinschätzungen der Befragten oder andere psychologische Mechanismen, die das Ergebnis verfälschen. Wenn man zehn Leute fragt und acht erzählen Blödsinn, bekommt man keine brauchbaren Ergebnisse. Und wenn man Hundert anruft, wird es kaum besser.
Hinzu kommt: sie berücksichtigen kraft Gesetz nur die Territorialgrenzen des jeweiligen Sendegebietes - ein Anachronismus in Zeiten des Internet. SWR2 hat inzwischen Zig-Tausende von Downloads ganzer Sendungen als Podcast oder einfach Hörer, die uns im Internet als Audio-Stream hören. Andere lassen sich nach einem Blick aufs Programm eine CD vom Hörerdienst schicken oder laden das Manuskript bestimmter Sendungen auf ihren Rechner. Fanpost erreicht uns überwiegend per E-Mail aus Berlin, Zürich, Wien, Buenos Aires oder Hamburg - nicht gerade in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz gelegen, oder?
Aber all diese neuen Hörer bzw. Leser werden nicht gezählt. So ein methodischer Unsinn gehört abgeschafft: Das Verfahren ist meines Erachtens Verschwendung von Gebührengeldern!

Sonntag, 15. Februar 2009

Neue Lyrik


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Marica Bodrozic: „Lichtorgeln“ Gedichte. Otto Müller Verlag, Salzburg, 110 S., 19 €

Der neue Gedichtband von Marica Bodrozic wirkt wie eine lyrisch verdichtete Fortschreibung ihres Erzählbandes „Der Windsammler“. Hier wie dort entspricht der gegenseitigen Durchdringung von Träumen, Bobachtungen, Märchen und autobiographischen Alltagsbezügen eine Durchdringung unterschiedlicher Wahrnehmungsweisen und Stilmittel. Die Autorin erzählt auch in Gedichten gern Geschichten, und ihre Prosa ist poetisch durch Bildhaftigkeit und Tonfall.

HINTER DEM KNORRIGN OLIVENBAUM, das Singen der Zeit. Die Sonne schreibt das Blatt. Das Meer reicht der Olive die Hand. Der Mediterran, mein Ursprung in die heitere Beständigkeit. Eine Lichtorgel aus gesiebten Stunden, ungefeierten Kindergeburtstagen und den nach Australien ausgewanderten Nachbarn: Der Kaffee serviert sich von selbst, ungeachtet der Nostalgie, der Verwirrungen und Tränen. Das Rätsel für das Kind: Wie haben sie alle zusammen das Meer erwandet? Über das Meer gehen, das kann doch nur EINER!

Zum Bodrozic-Kosmos gehören mediterranes Licht, Heiterkeit, Traurigkeit, Kindheitserinnerungen, das Rätsel der Zeit und Dinge, die sich verselbständigen. Die „Lichtorgeln“ aus dem Titel sind keine Lichtmaschinen in Diskotheken, sondern eine Metapher, die sich der Eindeutigkeit entzieht. Und doch klingt der rhythmische Wechsel der Gemütsfarben und Stimmungen mit. Auf ihren Lichtorgeln die Autorin spielt alle Tonleitern durch – zwischen Realismus und Märchen, Scherz und Ernst.

VOR MEINEM FENSTER waren Lichtorgeln aufgestellt worden, das Baugerüst hatte man abgenommen. An den Orgeln hingen viele Menschen… Arme waren zu sehen, Ohren, Füße, mit und ohne Schuhe, ganz viele Augen, eine Augenwoge schaute in mein Zimmer. Was macht ihr da!, fragte ich, etwas unbeschwingt, das ist doch mein Fenster. Schließlich war durch den Betrieb an den Lichtorgeln der ganze Himmel verdeckt, ich sah nicht einmal mehr die Bäume von gegenüber, selbst die Wipfel schienen etwas von mir Erdachtes zu sein.

Eltern, Geschwister, Marilyn Monroe, Katharina von Siena, Frida Kahlo, Woolf, Marina Swetajewa, Teresa von Avila und Ingrid Bergmann finden sich im Gespräch miteinander und mit dem lyrischen Ich. Das will die Abgründe zwischen Zeiten und Welten überspannen wie die Brücke von Mostar und bietet vieles, nur keine Sicherheit:

Verlasse dich nicht auf das lyrische Ich. Es ist erfunden. Aber: natürlich, nur dort ist es zuhause. Quer zwischen meinen sechs Leben liegt eine hingedachte Brücke.

Die Welt zeigt sich als Zwischenwelt. Wortschöpfungen leuchten auf: „Lichthandel“, „Angstmonarch“, „hängende Luftaltäre“, „Herzlücken“, „Hautnachbarschaft“, eine „gemandelte Trauer“. Viele der Texte sind auf so klare Weise unverständlich, dass sie neue Deutungen und Bedeutungen geradezu erzwingen. Die Regeln von Interpunktion und Grammatik, sogar die Naturgesetze sind teilweise aufgehoben. Da zeigt sich etwas Rebellisches, vielleicht am schönsten in einem der ungewöhnlichen Liebesgedichte:

Er ist fast verrückt geworden, wenn ich die Wörter rückwärts sprach. Einmal hat er es mir verboten, ich sollte die Wörter nie mehr rückwärts sprechen. Dann habe ich ihn verlassen. Es ging nicht mehr. Ich kann nicht mit einem Menschen frühstücken, der mir Wörter von rechts verbietet, überhaupt, wenn jemand etwas verbietet, ich kann da nicht schlafen, die Träume verlassen mich.

Wo scheinbar die formale Strenge rhythmisch gebrochener Zeilen fehlt, entsteht vieldeutige Verdichtung auf der Suche nach Transzendenz: etwas Kompaktes, manchmal Schwieriges, aber nie Schweres, das in der Phantasie des Lesers nachhaltig weiter arbeitet. Ein schmales Buch, komprimiert und voll gepackt wie eine ZIP-Datei: Diese Gedichte führen bis an die Grenzen der Sprache.

So verloren war ich/ dass ich immer nur Fragen stellte. Keine Antworten mehr/ die Fragen, unbedürftig. Niemand harrt da aus/ niemand/ wenn das Nicht nur nicht ein Nicht wäre, dann wäre es vielleicht eine Blume/ habe ich damals gedacht/ die uns erlöst und über das Ganze stellt. Das Reden: aufgehoben. Es gäbe gar nichts zu sagen.

Samstag, 31. Januar 2009

Kultur-Demokratie funktioniert nicht

Heute lese ich in der "Stuttgarter Zeitung" wieder mal endlose und nicht mal ganz unwitzige Betrachtungen über den schlechten Geschmack in den Medien, vor allem im Fernsehen. Beispiele: 7,17 Millionen Zuschauer am Samstag Abend beim "Dschungelcamp" von RTL und 10,6 Millionen, die beim ZDF Thomas Gottschalks immer dämlicher werdendes "Wetten dass" geguckt haben: Diesmal brachte er jemanden auf die Bühne, der Tierscheiße am Geruch erkennt. Klasse: Ich kann das auch - und besser, erkenne ich doch Scheiße in Text, Wort und Bild, ja sogar oft im musikalischen Ton ähnlich präzise und zuverlässig. Aber um bei der Medienkritik zu bleiben: Irgendwie ist sie obsolet, d.h. hat sich erübrigt, oder?

Die Zeitung sollte sich an die eigene Nase fassen, was den schlechten Geschmack angeht: Es ist einfach nicht ehrlich, sondern pseudodemokratisch, wenn man die Boulevardisierung des Fernsehens beklagt und gleichzeitig die eigene Zeitung zum Versuch mieser, politisch motivierter Manipulationsversuche missbraucht. Oder glauben diese Herrschaften, die ebenso hoch gelobten wie beschissenen Inszenierungen in ihrem mehrfachen "Opernhaus des Jahres" hätten irgend etwas Demokratisches? Das Publikum jedenfalls will dieses Regietheater gar nicht sehen, wird aber beharrlich als inkompetent hingestellt und übergangen. Sollen sich Puhlmann und Hasko Weber ein Beispiel an Karlsruhe nehmen. Was Intenandt Achim Thorwaldt da für eine Kulturpolitik macht: das ist wirklich gutes politsches Theater, aber zuerst mal gutes Theater. Geht doch! Der Mann hat ständig ausverkauftes Haus und ist viel billiger als Stuttgart obendrein. Aber zurück zur Medienkritik.

Es ist ja nicht mehr neu, den Untergang des Abendlandes mit Beispielen aus dem schlechten Fernsehprogramm zu belegen. Dabei ist das mit Kulturprogrammen wie bei Politikern: Jedes Volk hat die, die es verdient, weil es sie gewählt hat. Am schlechten Geschmack der Massen ändert das freilich nichts. Deshalb ist ja Kultur nicht mit Quote vereinbar. Das Programm kann nie schlechter sein als der Geschmack des Publikums. Und wenn die Millionen in Deutschkland einen schlechten Geschmack haben, ist das nicht die Schuld der Medien - jedenfalls nicht primär. Schuld der Meduien ist es höchstens, diesen schlechten Geschmack ständig und immer unverhohlener zu bedienen, als wäre er gut. Das macht die Sache in der Tat schlimmer, als sie schon ist! Demokratie kann also bei Geschmack und Niveau, bei Bildung und Kultur nicht funktionieren. Da hilft höchstens eine Pädagogik der Verführung, zu der man aber erst einmal in der Lage sein und dann mutig stehen muss. Wie der Tenor, Regisseur und Dirigentn José Cura mir kürzlich sagte: Um Regeln zu verletzten, muss man sie erst einmal kennen, einhalten und beherrschen. Und die meisten Möchtegern-Avantgardisten verlaufen sich bis dahin gehörig.

Die meisten Medienmogule und Medienmacher verführen nicht - weil sie nicht können oder nicht wollen, sei dahin gestellt. Sie sind etwa so penetrant provinziell und manipulationsgeil wie die Musikkritiker der erwähnten "Stuttgarter Zeitung", die alles runtermachen, was nicht Staatsoper Stuttgart oder Internationale Bachakademie heißt - in der kindischen Hoffnung, dass sie damit Meinung machen. Sie verderben aber nur den Geschmack, wenn sie z.B. den eigenen Leuten aus falsch verstandenem Lokalpatriotismus heraus jeden Blödsinn durchgehen lassen. So geschehen zum x-ten Mal etwa bei der Tschaikowski-Oper "Eugen Onegin", wo vermummte Skiläufer in Abbruch-Häusern agierten. Wenn aber im Festspielhaus BADEN-BADEN (wie heute vor einer Woche und am Mittwioch bei den Winterfestspienen) die umjubelte Salzburger Inszenierung des "Rosenkavaliers" von Richard Strauß zu sehen ist, wird prinzipiell gemeckert. Kann man nicht einfach ohne blöde Untertöne neidlos zugeben, dass es zur Zeit keine bessere Besetzung gibt als die mit René Fleming, Diana Damrau und Sophie Koch in den Hauptrollen? Zusätzlich wurde das Ereignis aufgewertet durch einen glänzenden, ausgesprochen spielfreudigen Jonas Kaufmann in der kleinen, aber anspruchsvollen Rolle des Sängers. Das war einmalig, aber die "Stuttgarter Zeitung" mäkelt denkbar neidisch und schlecht gelaunt daran herum. Die Fleming als Objekt der Begierde und nicht in Stuttgart - kann das sein? Das darf nicht, also kann es nicht sein. So ticken nur Trottel.

Dabei ist allein die Wahrscheinlichkeit, dass man Fleming, Damrau und Koch noch einmal auf einer Bühne zusammen singen hört, so klein, dass jeder Kritiker sich nur freuen müsste. Sie haben nämlich schön gesungen UND schön gespielt. Das Publikum wusste es besser als diese hoch bezahlten Miesepeter aus Stuttgart. Es umlagerte nach der Vorstellung die Künstler, die geduldig mit jedem sprachen und sich die Finger wund signierten. Es war nur traurig, dass Sophie Koch, die ihre Hosenrolle phantastisch sang und auf Augenhöhe blendend mit den Weltstars harmonierte, mangels Masse (sprich: CD) nicht signieren konnte: Von dieser französischen Nachwuchs-Sängerin gibt es keine einzige Aufnahme! Dabei hat sie diese Rolle schon vor zwei Jahren in Paris mit einem Riesen-Erfolg gesungen. Aber da waren ja die Deutsche Grammophon und Decca und alle anderen nur mit dem Hype um Anna Netrebko und Rolando Villazón beschäftigt. Man sieht: Dämlichkeit über Dämlichkeit - nur durch das Schielen auf Masse. Mit Kunst verträgt sich das nicht. Geschmack war noch nie eine Sache der Demokratie - nur der Zugang zu Kunst und Kultur. Den aber verrammelt, wer immer nur auf Quoten schielt oder das niedrigst-mögliche Niveau anpeilt und die niederen Instinkte der plebs bedient - angeblich weil das demokratisch ist...

Donnerstag, 1. Januar 2009

Großartig: Silvester mit Elina Garanca

Wenn das neue Jahr 2009 so wird wie die Silvestergala im Festspielhaus Baden-Baden mit Elina Garanca, dann kann man dazu getrost "wunderbar" sagen. Die lettische Mezzo-Sopranistin war der absolute Star eines umjubelten Abends mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern unter Leitung des britischen Dirigenten Karel Mark Chichon (im Bild an der Seite des Stars).
Die New York Times feierte den 39jährigen als Wunderkind, seit 2006 ist er Chef des Grazer Sinfonieorchesters und im September leitete er erstmals das Orchester der Wiener Staatoper.
Ich kannte ihn nur vom diesjährigen Weihnachtskonzert aus Wien im Fernsehen und muss sagen: Er hat auch mich beeindruckt durch seine Mischung aus Kompetenz, Leidenschaft und Temperament. Vielleicht ist Spanien in seinem Stammbaum vertreten - der Name deutet jedenfalls darauf hin. Live auf der Bühne strahlt er so viel Gelassenheit wie nötig und so viel wie Präsenz wie möglich aus.

Nordische Schönheit singt spanisch
Spanisch war´s, und temperamentvoll, auch wenn ich mich wiederhole. Nach der Ouvertüre zu Verdis Oper "La forza del destino" sang Garanca die Arie "Nel giardin del bello" der Eboli aus Verdis Oper "Don Carlo". In der "Erholungspause" für die Sängerin spielte eine großartige Dora Bratchkova das Violin-Solo des Andante aus der "Symphonie Espagnole" von Edouard Lalo. Es folgten Auszüge aus "Carmen" von Georges Bizet. Und schon nach der "Habanera", der "Seguedilla" aus dem 1. Akt und dem "Chanson Bohéme" reagierte das Publikum mit frenetischem Beifall und vielen Bravos. Die Garanca verdient sich das nicht nur durch ihre unglaubliche gesangliche Leistung, obwohl schon die sehr selten ist: Präzision, Kraft, Geschmeidigkeit und eine Stimme, die vom warmen erotischen Timbre des Alt bis zu den girrenden Koloraturen und einem finalen hohen C reicht, das Bäume spalten kann. Sie verdient es sich auch, weil zur Zeit sonst niemand so mit dem Publikum flirtet wie sie - meiner Meinung nach nicht einmal Anna Netrebko (und das sagt einer, der eine Rose von ihr bekam).

Elina Garanca beherrscht die ganze Klaviatur der Mimik, wie sie der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt in seiner großen kulturvergleichenden Studie über eine "universale Grammatik des sozialen Verhaltens" dokumentiert: Blickkontakt, Lächeln, verschämtes Senken des Blicks oder anmutiges Wegdrehen des Kopfes, erneuter Blickkontakt, weiter geöffnet diesmal die Augen, das Lächeln, usw. Das tut sie in jeder Phase ihres Gesanges - und zwar nicht nur zu den VIP-Logen oder zur ersten Reihe hin. Sie tut es aber auch während der instrumentalen Zwischenspiele, deutet hier ein Tänzchen an, ändert dort ihre Mimik von liebreizend zu dramatisch oder komisch. Bewusst oder unbewusst? - Auf jeden Fall genial. Man muss im Singen erst mal so gut und sicher sein, dass solches Beiwerk überhaupt ein Thema ist. Die Garanca muss sich in spanische Musik und spanische Themen verliebt haben; anders lässt sich kaum erklären, dass die nordische Schönheit sich derzeit so weit im Süden tummelt. Dass sie auch anders kann, weiß man spätestens seit 2003, da gab sie in Salzburg "La clemenza di Tito" von Mozart.

Überraschungen bei der Auswahl
Nach der Pause standen Zarzuelas auf dem Programm - diese spanischen Äquivalente unserer Operetten, deren Komponisten man hierzuland kaum kennt und die meist kurze Einakter voller Volkslieder sind. Meine Befürchtung, es könnte rührselig und hausbacken werden, erwies sich als völlig grund- und haltlos. Im Gegenteil: Ich werde versuchen, mir ein paar Namen von Komponisten zu merken. Den von Geronimo Giménez etwa, aber auch Francisco Asenjo Barberi, aus dessen Zarzuela "El Barberillo de Lavapies" Garanca die "Canción de Paloma" sang, oder den Namen Ruperto Chapí y Lorente: Wenn alle seine Zarzuelas das musikalische Niveau haben wie die "Romanza de Socorro" aus "El barquillero" oder die "Carceleras" aus den "Hijas del Zebedeo", bekommt man wirklich Lust auf mehr. Das gleiche gilt für die "Canción Espanola" aus "El nino judio" von Pablo Luna.

Eine Überraschung dürfte nicht nur für mich gewesen sein, wie tief und musikalisch virtuos sich Nikolai Rimsky-Korsakow im "Capriccio Espagnol" als Russe in die spanische Seele versetzt hat. Das Orchester spielte drei großartige Auszüge aus diesem Werk des Komponisten, den man eher als Konkurrenten von Mussorgskij und Lehrer von Strawinsky und Prokofjew kennt.

Das Programm forderte Tempo und Anpassung, und beides leistete Chichon blitzgescheit und in phantastischer Spiellaune. Die hatte auch das Orchester, an dessen Leistung es für mich nichts, aber auch gar nichts zu meckern gibt. Traurig daran sind nur der monströse Name, die Tatsache, dass dieser Klangkörper nach der Fusion des Radio-Sinfonieorchesters Saarbrücken mit dem aus Kaiserslautern immer noch keine angemessene "eigene" Spielstätte hat, und sein Platz auf der Liste bedrohter Arten: Der SWR hat jetzt drei im prinzip gleichwertige Radio-Sinfonieorchester, deren Repertoire sich auch noch ähnelt. Da kann man sich an fünf Fingern abzählen, wann es Sparzwängen geopfert wird. Aber ich fange an zu räsonnieren und will doch keineswegs den Bericht über einen großen Musikabend trüben.
Nein, die Silvesterlaune war prächtig. Wenn auch wie in den Reden zum Jahreswechsel düstere Aussichten nicht ganz aus dem Hinterkopf zu verdrängen waren: Nicht nur mir war zum Tanz auf dem Vulkan zumute. Dieser Vulkan hieß Elina Garanca, allen anderen Vulkanen zum Trotz, deren Existenz und Brisanz ich nicht leugne. Sie war ja auch schon mehrfach in Baden-Baden: Ihren Durchbruch schaffte sie dort als Partnerin der Gruberova in "Norma" von Bellini, und ihr gemeinsamer Auftritt mit Anna Netrebko vor anderthalb Jahren war ein Highlight.

ARD-Mittschnitt: tumber Zusammenschnitt
Ganz und gar kein Highlight war aber am Neujahrstag die ARD-Version des Silvesterkonzerts - oder soll man sagen: Was die ARD in Gestalt des Redakteurs Harald Letfuß davon übrig ließ? Es ist schon schade, wenn man ein Programm von 90 Minuten auf 60 kürzen muss. Aber so etwas kommt häufiger vor und ist kein Grund für Verstümmelungen. Dirigent Chichon, Frau Garanca und vielleicht auch das Festspielhaus als Veranstalter haben sich sehr wohl etwas bei der Zusammenstellung des Programms gedacht. Das sind Profis, deren Arbeit das Publikum mit Beifallsstürmen belohnt. Und dann kommt ein Team für den Zusammenschnitt, das an Silvester abends arbeiten muss, damit am nächsten Morgenm um 10 Uhr gesendet werden kann, und demonstriert Arroganz und Ignoranz vom Feinsten. Arroganz, weil man anscheinend in übler Laune und Lustlosigkeit antritt und den eigentlichen Machern mal wieder zeigen will, wo der Hammer hängt. Und Ignoranz, weil man dabei die Regeln des guten Geschmacks ebenso verletzt wie die des Anstands gegenüber künstlerischen Urhebern, weil man einfach handwerklich Mist baut. Um nur die gröbsten Unmöglichkeiten offener Verachtung aufzuzählen, die man diesem schönen Abend in der ARD angetan hat:

Warum die Ouvertüre der Oper "Die Macht des Schicksals" von Giuseppe Verdi einfach entfiel? - Vermutlich nicht nur aus Zeitgründen, sondern weil auch der starke Spanien-Bezug niemandem auffiel. Das Libretto des Dramas um überholte Ehrgriffe ist so spanisch wie der Urheber des Romans "Don Alvaro o la fuerza del sino": niemand Geringeres als Angel de Saavedra, der Duque de Rivas (1771-1865), ein führender Aufklärer im Land der Inquisition. Es fehlt also im Fernsehen der starke musikalische Auftakt, und man hält das Publikum für so blöde, dass es die unterschlagenen historischen und literarischen Bezüge schon nicht vermissen wird.

Dramaturgisch im Fernsehen verpatzt

Das unglaublich starke Violinsolo von Dora Bratchkova aus der "Symphonie Espagnole" von Edouard Lalo ersatzlos zu streichen, war ein doppelter Fauxpas: Erstens weil man eine international renommierte Solistin nicht anreisen lässt, um sie dann trotz (oder wegen?) erwiesener Leistungen einfach zu ignorieren; zweitens weil durch diese tumbe Streichung das ganze dramaturgische Konzept schier irreparabel durcheinander kam. Ja, es gibt auch eine Dramaturgie jenseits der ARD-Fernsehredaktionen, und die wäre hier einmal mehr klar die bessere gewesen.
Ähnlich unmöglich war der Entschluss, ausgerechnet die brillanten Auszüge aus dem "Capriccio Espagnol" von Rimsky-Korsakow zu streichen. Zugegeben, das war eine längliche Instrumental-Enlage, die man aber gut als "Raumteiler" zwischen Verdi und Bizet im ersten Abschnitt und den ebenso zauberhaften wie virtous dargebotenen Zarzuela-Arien hätte einsetzen können. Das tat aber niemand. Stattdessen wurde belanglose Tanzmusik aus dem Zugabenteil bemüht, auf die man nun wirklich gut hätte verzichten können.
Eine Frechheit schließlich oder bloß Angst vor den finanziellen Folgen urheberrechtlicher Aberkennung: Die "Malaguena" von Ernesto Lecuona wurde ebenfalls gestrichen - obwohl oder weil der Dirigent Chichon das anspruchsvolle Stück für Orchester bearbeitet hatte. Ohne über die möglichen Ursachen genauer zu spekulieren: Ich finde, so etwas gehört sich einfach nicht.

Ganz zu schweigen von der Kameraführung (oder vielleicht auch der Bildregie, das weiß nur, wer im Schneideraum saß): Elina Garanca hat zwar mit dem Publikum geflirtet, aber das Fernsehen nicht. Die erste Reihe z.B. hatte wie üblich besonders viel bezahlt; weil aber zwei Sitze leer blieben (vielleicht hatte der Eisregen des Abends zwei ältere Leute am Kommen gehindert), wurde sie überhaupt nicht gezeigt, weder in Zwischenschnitten noch beim Applaus. Dafür kamen dann immer wieder bei Schwenks über die Totale des vollen Parketts die vieleicht 20 leeren Sitze ins Bild, die eigens als "Schussfeld" für die zentrale Kamera an der Rückwand mit Blickrichtung Bühne frei gehalten wurden. Man muss sich das mal vorstellen: Da verzichtet das Festspielhaus auf Einnahmen in Höhe von gut und gern 3000 €, damit der Kameramann einen guten Blick hat. Und dann zeigt die ARD peinliche Bilder, die wirken, als sei das Haus nicht annähernd voll gewesen. Das geht auch anders.

Sekundäre Wiedergutmachung
Wie anders das Ganze wirken kann, zeigte die Version dieses Konzertes, die 3sat am Neujahrstag von 11.05 bis 12.45 Uhr ausstrahlte, oder auch die im dritten Programm des verantwortlichen SWR am Sonntag, den 4. Januar (11.15. - 12.40 Uhr) . Von der Live-Übertragung im Hörfunk bei SWR2 ganz zu schweigen, dann das ist sowieso der beste Kulturkanal im deutschgsprachigen Raum. Ärgerlich bleibt aber die Attitüde der Fernseh-Macher, im 1. Programm der Kultur des Leben schwer zu machen.

Der Respekt vor Kunst und Künstlern wird in die Nischenprogramme abgeschoben, an denen der Gebührenzahler sowieso beteiligt ist: das große Feigenblatt arte folgt sicher ebenso wie die anderen Regionalprogramme der ARD, der ZDF-Theaterkanal und das Ausland. Irgendwann wird dieses Konzert überall zu hören sein. Und das ist dann auch wieder ärgerlich - dieses Abnudeln und Totalvermarkten: So schön ich die Ausstrahlung in zeitnahen Rundfunksendungen finde, weil damit große Kunst ein wirklich großes Publikum erreicht, so unschön finde ich den Überdruss, der irgendwann entsteht, wenn überall die gleichen Superstars zu sehen sind, die den anderen die Luft zum Atmen und das Geld für die Miete wegnehmen.

Die Marktmacht der öffentlich-rechtlichen Sender ist eigentlich genau dafür nicht gedacht. ARD und ZDF haben den Auftrag, Bildungsträger und im Bereich von Kunst und Unterhaltung Mäzen zu sein, nicht etwa exzessiv bereits gekürte Stars zu promoten. Das sollte die Künstleragentur von Elina Garanca tun, nicht das Fernsehen. Das hat nur einmal mehr bewiesen, wie man seine besten Pferde zu Tode reiten kann. Ich bewundere Elina Garanca. Aber ich verachte das deutsche Fernsehen dafür, wie es mit ihr umgeht. So etwas ist ja kein Einzelfall. Und wenn die Künstler nicht sehr aufpassen und extrem charakterfest sind, geht es ihnen wie weiland José Cura oder Rolando Villazón oder wahrscheinlich auch Anna Netrebko: Sie werden aus niedrigen Motiven gnadenlos verheizt. Diese niedrigen Motive (Geldgier nämlich) zu bedienen, das verwechseln viele Medienleute und vor allem Politiker mit medialer Demokratie. Wer den bildungs- und gesellschaftspolitischen Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vergessen hat, gehört dort nicht hin und sollte zu den Privaten gehen. Diese Kulturbeamten sind aber unkündbar. Deshalb starren sie auch öffentlich-rechtlich so auf die Quote, die eigentlich einen Scheißdreck gelten dürfte.