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Samstag, 21. Juni 2008

Gedichte von Uwe Kolbe: "Heimliche Feste"

SWR2 Buchkritik Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M., 104 S., 16,80 €

Und wieder ein Liebeslied
vom Rande der Katastrophen
(war´s terroristischer Mord?
war´s Flut und war´s Hunger
oder schlicht
Shareholder´s Value?).
Wir hatten anderes gelernt
und anderes versprochen
in einem vorigen Leben,
unter dem Segel Hoffnung
im Industriezeitalter,
im Atomzeitalter,
im Ismus im Ismus im Ismus.
Was bleibt, ein Liebeslied,
kaum Worte, beinah nichts.
Als hätten wir nie anderes
gesungen.


Mit diesem Gedicht, dem Text Nummer 6 im ersten Teil, stellt sich in Uwe Kolbes Gedichtband „Heimliche Feste“ ein melancholischer Grundton ein, der bis zum Ende bleibt. Den Buchtitel „Heimliche Feste“ hat Kolbe der vierten römischen Elegie Goethes entnommen, wo es heißt: „Schalkhaft, munter und ernst begehen wir heimliche Feste“. Schalkhaft wie bei Goethe steht zwar über dem ersten von acht Teilen, in die sich Kolbes Lyrikband gliedert, die Überschrift „SAILOR´S HOME – Gedichte von Liebe und Trunkenheit“. Doch schon dieser Zyklus, der unter dem Segel Hoffnung startet, offenbart den doppelten Boden der fröhlichen Trinklieder: Katastrophen, gebrochene Versprechen, Trennungen.

Es sind Gesänge eines Reisenden, der in vielen Städten viele Getränke und viele Frauen probiert. Aber auch eines Jobnomaden, der seine Nachbarn nicht kennt. Der unter seiner Entwurzelung leidet und nach Möglichkeiten der Verortung sucht. Man sieht so einiges in der Welt. Dichten erscheint da als ästhetische Gestaltung des freien Falls, als hübsch moduliertes Schmerzgeschrei, so Kolbes Reflexion. Allein die Liste der erwähnten Alkoholika in den Gedichten 9 und 10, „Sailor´s List of Songs“ und „Paloma“, verwischt die Grenze zwischen Genuss- und Betäubungsmittel.

Dieser schwebende, scheinbar unentschiedene Ton zwischen Trauer und Sinnlichkeit, Sozialkritik und Lebensfreude durchzieht das ganze Buch. Und auch das Wandern und Reisen. „In Pfalzen“ heißt Teil 2, wo Kolbe mit dem Kollegen Michael Buselmeier durch Heidelberg streift und notiert: „Heiter gingen die Toten der uralten Stadt mit uns mit, plaudernde, lauschende Wanderer“.

„In Thrakien“ geht es mit Teil 3 weiter, der zauberhafte Elegien enthält wie „Sofia. Ein Psalm“, leider viel zu lang zum Zitieren. „An Orten“ nennt sich Abteilung 4, wo es durch die neuen Bundesländer geht. 1957 in Berlin geboren, zog Kolbe 1986 aus der DDR nach Hamburg und lebt heute wieder in Berlin. Seltsam, das Los dieser Heimat, des einst heimatlosen, weil in der DDR ungeliebten Dichters Uwe Kolbe auf der Suche nach jenem „Ort, der dich umhüllt“. Liebe oder Erinnerung daran auch in Leipzig und Halle an der Saale, manchmal originell gereimt:

Ich weiß nicht, was soll aus mir werden,
wenn wir nicht beisammen sind.
Ich geht meine Weile auf Erden
tagtäglich allein und wie blind.
So sagt es die Muse, die gute,
im trostvoll leichten Jargon.
Doch ist es mir heute zumute,
als mischte sich Blut in den Ton.


So geht es auch weiter in Teil 5, „In Nächten“, und Teil 6, „Im Norden“. Teil 7 heißt „Die Terrassen“ und ist einem stillen, meditativen Zyklus über sechs Graphiken eines gewissen Hans Scheib gewidmet. Das ist eine kleine Pause vor dem Finale: Teil 8, „In Büchern, in Preußen“ lenkt den Blick auf Reisen, die man auch virtuell oder einfach im Kopf machen kann. Dabei sind manchmal Widmungen eher hinderlich als erhellend, weil sie zu privat sind, die Angesprochenen unbekannt bleiben.

Formal ist Uwe Kolbes Lyrik sehr anspruchsvoll und vielseitig. Sogar Sonette kommen vor. Auch wenn die Themen von Liebe und Natur über Reisen bis hin zu Geschichte im Zeitalter von i-Pod und E-Mail reichen: seine Gedichte sind immer VERORTUNGSVERSUCHE eines Menschen, der die Einsamkeit kennt. Und sie haben stets mindestens zwei Gesichter – wie die Stadt Rheinsberg im Theodor-Fontane-Land, wo es ein berühmtes Schloss gibt – und ein Kernkraftwerk.