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Freitag, 2. November 2007

Sich der Religion stellen


Ulla Unseld-Berkéwicz über den "Verlag der Weltreligionen"

Der Exzess des Materialismus ein maßloser Rülpser, in dem die Menschen zu verschwinden drohen? Die Entzauberung des technischen Zeitalters als Trend für einen neuen Buchmarkt? Neuer Fanatismus in allen Religionen als Herausforderung an die Intellektuellen der Welt, das Rad der Aufklärung weiter zu drehen? Von all dem hat wohl ein bisschen zur Gründung des "Verlags der Weltreligionen" durch Suhrkamp-Insel beigetragen. Angestoßen hat das Projekt die Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz, die zu Hause gleichzeitig in jüdischen und christlichen Traditionen aufwuchs und früh schon Sanskrit lernte, um die indischen Veden und die Heiligen Bücher der Hindus und der Buddhisten lesen zu können. "Wenn Religiosität verschwindet, besteht die Gefahr, dass die großen Sprachen der Religionen verstummen - und damit irgendwann auch die Literatur", sagte sie im Vorfeld einer Pressekonferenz zur Gründung des neuen Verlags dem Magazin CICERO (10/2007). Schaut man in die Geschichte von Suhrkamp und Insel, so war dort kritische Auseinandersetzung mit Religion und deren essayistische Reflexion immer präsent.
Jetzt also erscheinen in diesem neuen Verlag bedeutende Originaltexte, teils neu übersetzt und erstmals wissenschaftlich kommentiert, teils überhaupt zum ersten Mal in deutscher Sprache: Das Bagavad-Gita, das Rig-Veda, wichtige Bücher des tibetischen Buddhismus, die "Bekenntnisse" des Augustinus ebenso wie die großen Hadithe der Muslime und die Mischna, die erste schriftliche Zusammenfassung mündlicher Rabbinerlehren aus der Zeit nach der Zerstörung des Tempels. Dass solche Bücher gleichzeitig in einem Verlag erscheinen, ist an sich schon etwas Besonderes und zeigt den globalen programmatischen Anspruch: enzyklopädisch, kosmopolitisch und entschieden aufklärerisch.
Dass sie in kostbarer Gestaltung und würdiger Editionstechnik auf exzellentem Papier und in Leinen gebunden erscheinen, zeigt den intellektuellen sowie kaufmännischen Respekt vor den Inhalten. Dass diese Bücher bezahlbar bleiben, ist das Verdienst einer Neuheit im deutschen Verlagswesen: Die Udo Keller Stiftung Forum Humanum bezahlt die Honorare der Autoren, Herausgeber und wissenschaftlichen Beiräte, Suhrkamp den Druck und den Vertrieb. Außerdem natürlich die Arbeitskraft seiner Mitarbeiter: Der Verlag der Weltreligionen profitiert von Suhrkamp-Know-How, Personal, Lektorat und Netzwerk. Startauflage für jedes Buch: 5000 Exemplare. Preis: je nach Umfang 14,80 bis 30 EURO. Zu den Originalausgaben kommen kritisch reflektierende Essays, z.B. gleich zu Anfang über den christlichen Fundamentalismus in den USA oder über das Wiedererwachen des Phänomens "Gotteslästerung" in öffentlichen Debatten. Da regiert nicht die Ehrfurcht, sondern die aufgeklärte Streitlust. Das Ganze ist eine wahre Fundgrube auf viele Jahre hinaus.
Verlagsleiter Joachim Simm hat im wissenschaftlichen Beirat alles aufgeboten, was Rang und Namen hat - von prominenten Theologen aller Klassen über Modeautoren wie Peter Sloterdijk bis hin zu exzellenten Denkern wie Jean-Pierre Wils ("Gotteslästerung") oder Ulrich Beck. Religion soll als gesellschaftliches Phänomen und historisch das Verlagsprogramm durchdringen, daher der soziologische Ansatz gleichberechtigt neben dem theologischen und philosophischen. Wissen über Religion soll in diesem Konzept nie kritiklos sein, aber immer eine Bereicherung. Dass da Konflikte vorprogrammiert sind, nehmen die Beteiligten in Kauf. Auch für diese Gelassenheit sollte man sie loben. Sie ist heute bei diesem Thema nicht selbstverständlich.

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