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Donnerstag, 1. November 2007

Das Rad der Aufklärung weiter drehen

Gegen religiöse Rechthaberei

Zum Programmstart des neuen "Verlags der Weltreligionen" bei Suhrkamp-Insel erschien der Essay "Gotteslästerung" (210 Seiten. 17,80 €) von Jean-Pierre Wils.

Ich sprach mit dem Autor über seine spannende Auseinandersetzung mit einer Spezialform des Fundamentalismus, die sich nicht nur auf Muslime bezieht, obwohl der Mord an Theo van Gogh zu den Auslösern dieser Arbeit gehörte. Wils ist Professor für Kulturtheorie der Moral im niederländischen Nijmegen und beschreibt hier die historische Entwicklung, die Veränderungen und die Aktualität des Begriffs "Gotteslästerung" bzw. ihrer Bestrafung. Sein Buch verdeutlicht zudem programmatisch die Kehrseite der Medaille "Veröffentlichung großer Heiliger Schriften in neu übersetzten kritischen Textausgaben" in der neuen Suhrkamp-Tochter: den kritisch-analytischen Diskurs dazu.

Herr Wils, ein Buch über Gotteslästerung gleich zum Programmstart des „Verlags der Weltreligionen“ ist ja schon eine Provokation. Hat man Sie dafür schon mit dem Tode bedroht?

Wils: Keineswegs. Ich meine, die Gotteslästerung ist eine Provokation, aber nicht ein Buch über die Gotteslästerung, glaube ich. Die Gotteslästerung ist ein Vorwurf, der weltweit immer öfter im Kontext von verschiedenen Religionen erhoben wird. Und ich denke, dass deshalb ein Verlag, der sich mit den Weltreligionen beschäftigen muss, nicht ganz falsch liegt, wenn er sich deshalb mit dem Thema der Gotteslästerung auch beschäftigt.

Ich hab meine Frage trotzdem nicht nur spaßig gemeint. Ich hab grad gestern von einem Kollegen gehört, der über die Geschichte der Zensur in Südafrika zu Zeiten der Apartheid erzählte, dass es damals ein Buch über ein Pferd namens „Black Beauty“ gab, und das war nicht wegen des Inhalts verboten, sondern wegen des Titels.

Wils: Na ja gut, ich meine man muss sich auf alles gefasst machen. Also die Gotteslästerung ist eine kulturelle Größe, denk ich, mittlerweile, d.h. sie ist anwesend in verschiedenen Kulturen. Also ich denke, dass man in Europa lange Zeit geglaubt hat, sie sei zu einem reinen Anachronismus eigentlich erstarrt. Mittlerweile ist das nicht mehr der Fall. Sie ist regelrecht revitalisiert und spielt also im interkulturellen Konflikt eine wesentliche Rolle. Kritische Bücher über die Gotteslästerung – und ich glaube, mein Essay gehört zu diesen Büchern, er warnt geradezu vor der Revitalisierung der Gotteslästerung – werden mit Sicherheit eigentlich in jenen Religionen, die sich die Gotteslästerung wieder als eine Art der Selbstpräsentation gewählt haben, mit Sicherheit eben auch sehr kritisch betrachtet.

Sie stellen sich ja, wenn ich das so kurz zusammenfassen darf, mit Ihrer Thesen in den Traditionszusammenhang einer ganzen Gruppe von Leuten, die argumentieren, religiöser Fanatismus und der Vorwurf der Gotteslästerung, mit so etwas heute noch zu arbeiten, im 21. Jahrhundert, sei signifikant für eine Instrumentalisierung der Religion durch Politik. Sehen Sie das ausnahmslos so, oder gibt es da markante Unterschiede zwischen den Religionen?

Wils: Ja, die gibt es selbstverständlich. Aber ich bin auch nicht der Meinung, dass der Vorwurf der Gotteslästerung eine Form des politischen Missbrauchs von Religion ist. Also: Die Gotteslästerung ist, jedenfalls in den drei abrahamischen Religionen, aber nicht nur dort, ein genuiner Bestandteil des Selbstverständnisses dieser Religionen. Also es nicht der Missbrauch der Religion, wenn man die Gotteslästerung als Vorwurf gegen andere, gegen die Nichtgläubigen oder jene, die die Ehre Gottes nicht entsprechend respektieren, benutzt, sondern es ist ein genuiner Ausdruck von religiöser Rechthaberei, wenn man so will. Also es ist auf gar keinen Fall nur der Missbrauch der Religion. Wenn es ein Missbrauch wäre, dann müsste man erhebliche Teile der Religionsgeschichte neu schreiben.

Das macht die Sache ja nicht gerade unkomplizierter. Denn bisher hat man dieses Argument sehr oft gehört, wenn vom politischen Islam beispielsweise die Rede war, der gern als Talibanisierung oder auch als Steinzeitislam bezeichnet wurde. Sie greifen also wesentlich weiter aus.

Wils: Ja, auf jeden Fall! Die Gotteslästerung ist ja auch im Bereich des Christentums bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein authentischer Bestandteil der Religionspolitik. Also es ist ja nicht so, dass die Gotteslästerung etwas ist, mit dem wir dank oder wegen des Islams konfrontiert werden. Sondern, noch einmal: Dieser Vorwurf der Gotteslästerung bzw. der Schutz der Ehre Gottes – und damit auch über weite Strecken der Schutz der Orthodoxie, der Rechtgläubigkeit gegen die Häresie – ist ein ganz substanzieller Bestandteil auch der Christentumsgeschichte!

Ich habe vor ein paar Jahren ein Buch gelesen über den Fundamentalismus in den USA. Und da war ich doch sehr überrascht, wie brutal und bis hin zum Massenmord: Ganze Familien sind da ausgelöscht worden in den letzten Jahrzehnten oder in den letztern 5-20 Jahren, das auch gehen kann in christlichen Zusammenhängen auch. Also: Wenn man glaubt, durch den Lebenswandel einer Frau sei Gotteslästerung betrieben, und deswegen muss diese Frau mit ihrem neuen Ehemann und ihren Kindern dran glauben und man zieht denen das Messer durch die Gurgel, dann ist das ja schon sehr gegenwärtig (nicht 19. Jahrhundert!), dann ist das nicht nur eine abstrakte Hypothese, da ist nichts Akademisches mehr, nicht?

Wils: Nein, Keineswegs! Also der Vorwurf der Gotteslästerung war immer und ist immer noch eine eminent politische Äußerung von Religion, also ich meine politisch im Sinne der Äußerung von Religion in der Polis, in der Gemeinschaft, in der Kommunität. Also insofern ist das auch gar nichts Exotisches, das ist nichts Akademisches, also ganz im Gegenteil eigentlich. Die Gotteslästerung ist ein wesentlicher Bestandteil von vielen Religionen.
Und die Wiederkehr der Gotteslästerung auf dem politischen Parkett, wenn man so will – also ich red jetzt nicht von den gelegentlichen Blasphemievorwürfen eigentlich im Kontext von Kunstwerken, von ästhetischen Expressionen – also diese Wiederkehr der Gotteslästerung ist ein Exponent der Wiederkehr von Religion überhaupt auf der politischen Bühne.Wie ich schon sagte: Das ist kein Randthema, das ist nicht Religion marginalisiert, sondern die Gotteslästerung gehört zu den substanziellen, wesentlichen, zentralen Bestandteilen von Religion überhaupt.

Sollte man nicht ergänzend sagen: Der organisierten Religion?

Wils: Das stimmt. Die Praxis der Verfolgung der Gotteslästerung unterstellt natürlich eine gewisse institutionelle Verfasstheit von Religionen. Und dort, wo die Grade der institutionellen Verfasstheit am intensivsten sind, wo eigentlich auch die Wahrheit am aufwändigsten gehütet wird, und wo die institutionellen Vorkehrungen zu dieser Bewachung der Wahrheit am ausgeprägtesten sind, da wird man ja auch am ausgeprägtesten diesen Vorwurf der Gotteslästerung wiederfinden.

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