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Samstag, 15. September 2007

Netrebko und Vargas auf dem Stuttgarter Schlossplatz


Opern-Open Air mit Hindernissen

Am 31. August herrschte Ausnahmezustand auf dem Stuttgarter Schlossplatz: Anna Netrebko, derzeit führende Operndiva vom Mariinski-Theater St. Petersburg, und der mexikanische Tenor Ramón Vargas sangen in Begleitung des Orchesters der Deutschen Oper Berlin (Dirigent: Marco Armillato) ein Open-Air-Konzert.
Tourneeveranstalter Michael Van Almsick hatte dazu den ganzen Platz mit Sichtblenden versehen lassen und strenge Kontrollen aufgebaut. Auch die Presse musste sich einem Reglement unterwerfen, das man in dieser Form nur von Rock- und Popkonzerten kennt: Fotografen mussten bis zum Ende der Vorstellung warten und durften dann während der Zugaben unter Aufsicht für eine Minute zum Blitzlichtgewitter an die Bühnenrampe. Das Fernsehen hatte gleich auf eigene Drehs verzichtet. Hörfunkberichterstatter mussten ihre Aufnahmegeräte abgeben und bekamen sie erst für die Zugaben zurück. Statt 90 Sekunden Klassik vom Mischpult abzugreifen, wie es mir angeboten wurde, hielt ich das Mikrophon dann in Richtung Bühne und hatte in 70 Sekunden eine relativ schöne Sequenz aus einem La-Traviata-Duett inklusive Schlussapplaus - bitte sehr. Wer die Arien nicht kennt, verpasst solche Möglichkeiten zwangsläufig.
Diese Behinderungen der Arbeit von Journalisten verdienen nur eine Bezeichnung: Zensur. Ursache dafür ist die hysterische Panik von Veranstaltern, die sinkende CD-Verkaufszahlen nur so bekämpfen zu können glauben. Schwarze Mitschnitte im Internet sind Mode geworden. Aber wer die Presse behindert, bekommt eben auch zu Recht schlechte Schlagzeilen. Dabei hätte es gute wie schlechte nebeneinander gegeben. Es war halt ein Hindernislauf, wie er im Konzertsaal kaum möglich ist.
Anders, als tags darauf die Tageszeitungen schrieben, sang die Netrebko wunderbar und war auch Ramón Vergas keiner, "der seite besten Tage schon gesehen hat". Vor allem in einem überraschenden Duett aus Donizetti´s "Liebestrank" am Anfang oder in dem Abschiedsduett "O soave faniculla" aus Puccini´s "La Bohéme liefen beide zu Hochform auf. Allerdings waren pro Nase gerade mal vier Arien und dann noch zwei Duette ein recht mageres Programm für ein Konzert, bei dem die billigste Karte 130 € kostete. Rechnet man die schwache Beschallung der ersten Halbzeit hinzu und einige knallende Rückkopplungen, die Anna Netrebko das hohe C bei der berühmten und traumhaft gesungenen Arie "Casta diva" aus Bellini´s "Norma" verdarben, waren die 6000 begeisterten Zuhörer am Ende doch ziemlich mies abgespeist. Unfreiwillige Heiterkeit kam auf, als nach der Pause während der Ouvertüre zu Verdi´s "Nabucco" deutlich zu hören war, wie sich Anna Netrebko im Garderobenzelt heben der Bühne einsang. Eine Gruppe von 200-300 Jugendlichen, die es sich auf der Wiese hinter den Absperrungen bequem gemacht hatten, amüsierte sich königlich - und ganz umsonst. Wahrscheinlich hatten sie füpr diesen Abend die beste Entscheidung getroffen.
Im Vergleich zu einem Opernabend oder einem Konzert im Festspielhaus Baden-Baden, Salzburg oder sonstwo war das Ganze technisch eine Katastrophe und preislich fragwürdig. Der Oper hat´s nicht geschadet. Derzeit nütze alles, was die Netrebko tut, der Liebe der Massen zu dieser Musik. Hoffentlich bleibt es so. Und hoffentlich sagt ihr mal jemand, dass es nicht zu ihr, zu ihrer Rolle und ihrem Niveau passt, wenn sie wegen der grölenden Zustimmung von Banausen Franz Lehars "Meine Lippen, die küssen so heiß" als Zugabe singt - in unverständlichem Deutsch und mit aufgesetzten Posen, die ihr wahrscheinlich mehr schaden als die erwähnte grölende Begeisterung Nutzen bringt.

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