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Freitag, 29. Juni 2007

Whoopi und ich

Whoopi hat so ein freches Grinsen im Gesicht wie die Schauspielerin Whoopi Goldberg, deshalb haben wir sie nach ihr benannt. Wir finden, sie
ist die ideale Schriftstellerkatze. So klein sie auch ist, weil sie die erste ihres Wurfes war und die Mutter erst Milch gab, nach dem einen Tag später alle da waren: Sie hat keine Angst vor viel größeren Katzen, sie rauft völlig gleichberechtigt mit ihrem großen Bruder, sie ist ein echtes Schmusetier mit 100 % Selbstbestimmungsanteil, sie ist eine reißende Bestie gegenüber vorwitzigen Mäusen, die in unseren eingezäunten Garten eindringen, d.h. in ihr Revier. Als Monster sehen sie Amseln, die sie im Luftsprung ihrer Schwanzfedern beraubt hat, als die Stuka-gleich Angriffe mit spitzen Schnäbeln auf Whoopi´s Bruder Slanny flogen.


Und sie hat auch keine Angst vor Journalisten und Kameras - wenn sie die passende Laune hat. Das sah auch Ines Franzke-Stahl so, die mich für die "Heilbronner Stimme" besucht hat und Whoopi ganz toll fand. Ihr ist dieses Foto gelungen, das die Zeitung auch brachte.
Whoopi bekommt seitdem PR-Zulage von mir (spezielles Trockenfutter, das sie auch vorher schon mochte, bloß etwas großzügiger). Könnte sie auch noch singen und inmitten größerer Menschenansammlungen stillsitzen, wäre ich reich. Denn dann könnten wir zwei auf der Königstraße in Stuttgart als Straßenmusikanten richtig Kohle machen. Noch besser gefällt uns dieses zweite Bild (das die Zeitung natürlich NICHT brachte). Erstens hat da Whoopi ihre naturblauen Augen (Fremenpinzessin) und keine vom Blitzlicht roten, und zweitens lächle ich hier zwar etwas schief, aber liebenswürdiger, findet meine Frau Grit. Und da hat sie als gelernte Fotografin alle Kompetenz der Welt. Muss also stimmen.
Whoopi ist aber so oder so der Star bei uns. Deshalb müsste sie auch nicht so eifersüchtig auf ihre Kollegin sein (von Tiki habe ich bisher nur Babyfotos, und die findet sie genant. Sorry, das muss also noch warten). Aber Die zwei finden Zickenzoff gelegentlich todschick - vor allem, wenn es um den besten Platz auf Daddys Bett geht.

Montag, 25. Juni 2007

Priester der Zeit

Poesie von Fuad Rifka:
"Die Reihe der Tage ein einziger Tag"


Fuad Rifka zu besuchen war der einzige lohnende Teil meiner Berlin-Reise vom 20.-22. Juni. Unterwegs und in langweiligen Sitzungen des Verbandes Deutscher Medozinjournalisten (dem leider mein KDM-Kollegium der M., sich anzuschließen verirrte) las ich zwei Bücher: Essay von José F.A. Oliver und Gedichte von Fuad - in einer wunderschönen zweisprachigen, arabisch-deutschen Ausgabe des Verlags Hans Schiler (SSBN 3-89930-147-1).


Er ist der einzige Araber, der systematisch deutsche Lyrik übersetzt, er ist Professor für Philosophie und liebt Deutschland, weil er in Tübingen studiert hat. Ich habe Fuad schon öfter im Stuttgarter Schriftstellerhaus getroffen und über ihn geschrieben. Jetzt sitzt er in seinem "kleinen Paradies" - 10 Monate Stipendium als Senior Fellow im Wissenschaftskolleg Berlin.

Was soll er auch in Beirut, außer seine Tochter und die Enkel sehen? Die Stadt versinkt seit Jahrzehnten periodisch immer wieder im Chaos, seine Jahre neigen sich dem Ende zu, und er will noch so viel schreiben und organisieren. Fuad wurde christlich erzogen und ist Araber. Er arbeitet an der Amerikanischen Universität des Libanon und liebt Poesie. Er ist, sucht und atmet FRIEDEN in allen Schattierungen des Begriffs.

Foto: www.juergen-bauer.com

Fuad Rifka ist Grenzgänger (1930 in Syrien geboren; heute gehört sein Dorf zum Libanon, morgen kann es umgekehrt sein. Er schreibt arabisch und deutsch, schimpft über George W. Bush, hat über die Ästhetik bei Heidegger promoviert. Reicht das?). Und er fühlt, wie die Poesie ihm als einziges treu bleibt - also bleibt auch er dabei. Auch wenn das erste Gedicht seines neuen Bandes mit den Zeilen beginnt:

"Die Zeit -
eine Erinnerung im Nebelschleier
ein Dämmerlicht den Augen
ein Pfeifen in den Ohren
die Heiserkeit in der Stimme
ein Zittern der Worte
das Knacken der Gelenke ..."

Fuad Rifka trotzt der Zeit durch seine Verse, die sie überleben werden. Er trotzt den organisierten Religionen durch seinen überreligiösen Glauben an die Dichtung. Er ist ein Priester der Zeit, weil er sich als Poet die Zeit untertan gemacht hat. Und er ist ein Freund, wie es nur wenige gibt. Wer mehr über Fuad Rifka wissen möchte, höre meine Podcasts "Dichtertreffen" oder bestelle die CD meiner SWR2-Sendung "Ein arabischer Hölderlin".

Samstag, 23. Juni 2007

Ein Dichter öffnet sich


nebenbei gelesen:
Essays oder so ähnlich von José F.A.Oliver


kürzlich ist bei der Edition Suhrkamp ein Originaltaschenbuch mit sehr persönlichen Essays von José F.A. Oliver erschienen: "Mein andalusisches Schwarzwaldorf" (138 S., 8,50 €). Dieses Dorf, in dem José als Kind andalusischer Gastarbeiter aufgewachsen und buchstäblich groß geworden ist, dieses Dorf, in dem er sich in der alemannischen Narrenzunft engagiert hat, heißt Hausach und steht im Mittelpunkt seiner ersten nennenswerten Prosaveröffentlichung. Alle Essays in diesem schmalen Band haben mit der Suche nach Heimat zu tun, mit tatsächlicher Heimatlosigkeit, aber auch mit der globalisierten Existenz des Poesie-Nomaden, der sein Zelt mal in Boston aufschlägt und mal in Stuttgart, mal in Málaga und mal in Helsinki, der aber immer zu Hause ist: In der Sprache.
Als ich vor ziemlich vielen Jahren die erste größere Radiosendung über José machte, nannte ich sie "Andalusien liegt auch im Schwarzwald". Denn das eine ist Metapher es anderen, ist Bild und Wurzel für die Heimat in der Fremde und das Fremde in und an der Heimat. José erzählt von sich, von seinen Gefühlen angesichts des Dazugehörens ond doch nicht Dazugehörens zu zwei Kulturen und Sprachen. Er berichtet von der Ankunft seines Vaters als Hutmacher in Hausach, von der Angst seiner Mutter nach den ersten Anschlägen auf "Ausländer" in Deutschland in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Er wundert sich (wie Recht hat er doch) über die Wirkung dieses Ausdrucks im Jahr 2007: "voriges Jahrhundert". Das klingt, als sei es weit weg, und ich uns doch nah. Ist meine, ist seine Lebenszeit, Lebenserfahrung. Von der aber schon zu erzählen lohnt, weil die Jüngeren davon oft schon keine Ahnung mehr haben. Ja, José, wir werden älter, und plötzlich sind wir Zeitzeugen.
José singt, wenn er irgendwo durchs Land tingelt und in Bibliotheken seine Gedichte vorträgt. Er singt nicht dauern, aber oft genug, um zu zeigen, die Lied und Sprache im Gedicht zusammenhängen. So ähnlich geht es oft auch in diesen Essays zu. Da sind Gedichte eingesprengselt, weil sonst die Gedanken über die Entstehung von Lyrik nicht zu beweisen wären. Und Fotos hat er in dieses Buch getan: schwarz-weiß, altmodisch, aber wetterfest und meist aus dem eigenen Album. Bilder aus Hausach im Winter und im Sommer, im Fasnetstaumel und in seltsamen Träumen nach Urlaub im Süden. Fotos von seinen Eltern, Fotos von Klein-José dienen nie der Eitelkeit, sondern zeigen Träume vom Zusammenleben, zeigen eine tiefere Wahrheit hinter der zweidimensionalen Oberfläche des Papiers: Andalusien im Schwarzwald eben, Existenzen in beidem, Existenzen mit seltsamen Eigenschaften, Schwarzwald-Andalusier eben oder auch mal andalusischen Schwarzwald.
Das geht nicht zusammen? - Haben Sie eine Ahnung! Lesen Sie selbst: "Gleich hinter dem Waldbergigen, hinter der Dämmerlinie der schweren, schwarzgrünen Tannen, lag Andalusien. Auch für mich.", schreibt er über seine Empfindungen aus der Jugend. Die haben sich bis heute nicht verändert. Er bringt sie mit zurück nach jedem Ausritt in die Welt, dieser Don Quijote mit alemannischen Dialektkenntnissen, wenn er daheim in Hausach arbeitet, schreibt, fertigt, feilt, was er draußen eingesammelt hat. Davon liest man in seinen Gedichten. Aus der Werkstatt der einen, der Schwarzwälder Heimat aber öffnet er sich erstmals in dieser Prosa. Noch nicht gerade philosophisch, noch ohne allzu große theoretische Ansprüche, sondern in einem eng begrenzten Terrain der Selbstvergewisserung. In der Provinz, im Abseits, in der Sprache ruhend, ausruhend. Zunehmend aber auch in sich selbst.


Donnerstag, 14. Juni 2007

Christlicher Hassprediger

SWR 2 Buchkritik (Sachbuch)
Udo Ulfkotte:
“Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslimbruderschaft unsere Gesellschaft bedroht“
© Widmar Puhl (4´30)

Ein kritisches Buch über die radikale Muslimbruderschaft und ihre umtriebigen Ableger in Europa wäre eine gute Sache. Was Ex-FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte unter dem Titel „Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslimbruderschaft unsere Gesellschaft bedroht“ vorlegt, ist aber eher ein Pamphlet gegen den Untergang des Abendlandes. Im Internet kündigt Ulfkotte, der heute Spionage- und Terrorabwehr an der Universität Lüneburg unterrichtet und sich als „Security-Manager“ anpreist, die Gründung einer Partei für die christlich-jüdischen Werte Europas an. Schon 2003 brachte ihm sein Buch „Der Krieg in unseren Städten“ eine Kritik in der „taz“ mit dem hämischen Titel „Der Hofnarr der Geheimdienste“ ein.
Autor und Verlag brüsten sich der engen Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Geheimdiensten, darunter Mossad und CIA. Prompt kam es aus Kreisen der Muslimbrüder zu Drohungen und zwei Dutzend Prozessen – eine bewährte Zermürbungstaktik gegenüber Kritikern. Der Verlag gewann jedes Mal, aber „auch gewonnene Prozesse kosten Zeit, Nerven und Geld.“ Anscheinend hat der Autor jetzt beschlossen, nicht mehr mit diesen Leuten zu reden, sondern nur noch über sie. Er konzentriert sich darauf, das Wissen Dritter auszuwerten, vor allem der Geheimdienste. Und dieses Wissen ist so geheim, dass sich davon vieles nicht überprüfen lässt. Von journalistischer Unabhängigkeit zeugt das nicht gerade.

Darüber hinaus referiert Ulfkotte bekannte Tatsachen. Fleißkärtchen gibt es für das Sammeln von Beispielen für Selbstzensur nach der künstlichen Welle internationaler Proteste im so genannten „Karikaturenstreit“. Spannend ist die Geschichte von Hassan al-Banna, dem ägyptischen Gründer der Muslimbruderschaft, und die seiner Anhänger, die überall in Europa islamistische Vereine gründen. Hoch interessant: Die Kapitel über die Strukturen dieser undemokratischen Parallelgesellschaften, ihre Finanzierung mit Steuergeld und die religiöse Verbrämung von Besitzansprüchen.
Wenn Ulfkotte aber schreibt, die Muslimbrüder hätten längst die Deutungshoheit über den Islam übernommen, ist das einfach Unsinn. Ebenso gut könnte man behaupten, die Scientologen hätten die Deutungshoheit über das Christentum. Und das Szenario, Europa werde allein deshalb bald islamisch, weil wir keine Kinder kriegen und Muslimfrauen ganz viele, ist blanke Hysterie. Blinder Glaube an die heilige Demoskopie ist gefährlich, gerade weil Fanatiker sie für ihre Prognosen rhetorisch nutzen. Es will eben nicht jeder Muslim den Gottesstaat, und der Koran verlangt ihn auch nicht.
Vom Schächten über das Kopftuch bis hin zu Speisevorschriften, Polygamie und dem, was eigentlich „Scharia“ bedeutet, also eine Justiz auf der Grundlage des Korans, sind die Muslime seit jeher tief gespalten. Das gilt gerade für die so genannten „Sonderrechte“, die altmodische Muslime für sich beanspruchen. Was der Zentralrat der Muslime in Deutschland sagt, hat nichts mit der Meinung der Mehrheit zu tun. Das alles verschweigt Ulfkotte. Im Gegenteil: weil sie in seine Verschwörungstheorie von der Unterwanderung Europas passen, stellt er sogar so groteske Aussagen von Extremisten als islamisch dar wie die, Gläubige dürften nicht Fußball spielen.
Leider kann man nicht einfach sagen, sein Buch sei nur schlecht. Schön wär´s. Vielmehr ist es eine üble Mischung aus interessanten Daten und Fakten sowie deren Verzerrung durch die Brille des Hasses, aus richtigen Analysen und falschen Schlussfolgerungen. Das merkt man – wie beim SPIEGEL – oft erst, wenn man sich bei einem Thema, das er behandelt, wirklich gut auskennt. So ging es mir mit dem scheinheiligen Kapitel „Unser arabisches Erbe“, wo der Autor auf gerade mal zweieinhalb Seiten sehr, sehr lückenhaft aufzählt, was die abendländische Wissenschaft, Gastronomie, Medizin, Architektur und Wasserwirtschaft den Arabern verdankt.
Der Autor hat zwölf Jahre in islamischen Ländern gelebt, hat viel gesehen und zitiert eine Menge Fachliteratur. Deshalb ist es sicher keine Unwissenheit, sondern unlautere Absicht, wenn er ständig die Begriffe „Araber“ und „Muslime“ oder “Islam“ und „Islamismus“ verwechselt. Bei mir kommt das Buch daher nicht ins offene Regal mit Aufklärungsliteratur, sondern in die Giftküche für Spezialisten. [Dort stehen auch einst verbotene Bücher über Hexen, Freimaurer und christliche Sekten.] Man braucht kein Jurist zu sein, um den Eindruck zu bekommen: An manchen Punkten erfüllt dieses Buch durchaus den Straftatbestand der Volksverhetzung.

Udo Ulfkotte: „Heiliger Krieg in Europa. Wie die radikale Muslimbruderschaft unsere Gesellschaft bedroht“.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M., 303 Seiten, 19,90 €.

Mittwoch, 13. Juni 2007

Karl-Markus Gauß, das Scharnier zum Osten

"Zu früh, zu spät" - des Journals zweiter Teil vom Großen Europäer

Am besten wird Karl-Markus Gauß da, wo seine Journal-Essays autobiographisch sind. Dass Salzburg im Sommer von Bettlern freigeräumt wird, damit niemand die Optik der Festpielgäste störe; dass Salzburg im Winter und bei Schnürlregen eher den Einheimischen gehört; das "Ungefähr richtig" besser ist als "präzise falsch" - all das kann man ihm nachfühlen, wenn man selbst nur jahrelang in dieser Stadt gelebt hat, wo sein "Schreiber-Standort" ist, auf dem er nie steht, sondern von dem aus der Wanderer zwischen Ost und West auf seine Erkundungsfahrten geht.
Gauß schreibt an gegen die Selbstzufriedenheit wie eigentlich alle Autoren, die ich in Salzburg selbst zu treffen das Glück hatte. Er schreibt ebenso an gegen Vorurteil, die Wurzel der Selbstzufriedenheit sozusagen. Und er schreibt zur Selbstvergewisserung: Jeder seiner Journal-Essays deckt kommentierend einen Zeitraum von zwei Monaten ab: Zeitungslektüre, eigene Arbeiten, Begegnungen mit interessanten Menschen (Berühmtheiten, aber auch Persönlichkeiten von großer Bedeutung, die kein Mensch kennt) Bücher, Theaterbesuche, was so passiert. Und in den letzten Jahren ist eine Menge passiert.
Nach dem ersten Drittel des Buches gefallen mir auch seine Titel viel, viel besser: "In der Sprache leben bis zuletzt" ist so ein Glücksfall der vollkommenen Titelgebung, die mehrere Grundströme des beschriebenen Zeitraums und beschriebener Menschen bzw. Bücher mit eigenem Erleben und eigener Überzeugung unter einen Hut bringt. Bei "Unorte, Örtlichkeiten" liegt der Fall ähnlich: Da ist Gauß unterwegs, auf dem Balkan in Slums (Unorte), im Baltikum, und schreibt über die Anonymität der Flughäfen und Bahnhöfe (Unorte), über Jean Améry und dessen Essay-Sammlung "Örtlichkeiten". Und er lebt in diesen Büchern und an diesen Orten seine eigene Widersetzlichkeit und eine Identifikation mit den Ausgestoßenen verschiedener Zeiten und Länder. Er macht daraus Literatur und bekommt einen Publizistik-Preis, ganz wie Jean Améry seinerzeit. Zufall? Kaum. Er schreibt über Folter in Abu Ghraib und Guantanamo (Unorte auch sie) und setzt, was er hört und sieht, in Beziehung zu Améry´s Buch "Die Tortur" und zur Westerweiterung der EU.
Ich selbst lese gerade "Czernowitz - Wo Menschen und Bücher lebten", die Erinnerungen des Historikers Zwi Yavetz an seine Heimatstadt in der Bukowina, dem Land von Rose Ausländer, Manés Sperber, Paul Celan, und vermisse schmerzhaft ein Kapitel über Alfred Margul Sperber, jenen Vater der untergegangenen deutschen Literatur in jenem Teil der Welt, den heute Ukrainer als Teil ihrer eigenen Kulturgeschichte reklamieren. Gauß schreibt, wie er die "Culturbilder" von Karl Emil Franzos aus eben jener Gegend las und feststellte, was im Kern seiner eigenen Motivation als Schriftsteller lag: "Ich fürchte, als ich das erste Mal ostwärts fuhr und dabei nicht an Karl Emil Franzos oder Sperber dachte, deren Werke ich doch Jahre zuvor studiert hatte, war ich auch von dem uneingestandenen Wunsch getrieben, im Osten von der westlichen Zerrüttung der Seele geheilt zu werden: Erlösung nicht des Ostens, sondern aus dem Osten."
Gauß fragt sich und den Leser, wieso fünf mal so viele Bücher ins Neugriechische übersetzt werden wie ins Arabische, warum zudem drei Viertel aller Bücher, die in arabischen Ländern überhaupt gedruckt werden, religiöse Inhalte haben (Fach- und Schulbücher nicht gerechnet). Er fragt das vor dem Hintergrund der Anschläge islamistischer Fanatiker auf den Antocha-Bahnhof in Madrid, bei denen fast 200 Spanier starben. Seine brillante Analyse:
"Was sie an Europa hassen, ist ihre eigene Kultur der Einsamkeit, die sie nötigt, in der Stagnation als einer gottgeschenkten Gnade zu leben. Darum machen sie nicht den arabischen Despoten den Prozeß, von denen sie täglich geschunden werden, darum gehen sie nicht gegen die Unterdrückung auf die Straße, die über sie seit Generationen verhängt ist, schlagen sie nie drein, wenn ihre korrupten Eliten sie um die Früchte ihrer Arbeit betrügen. Der Feind, der ihnen alles genommen hat und nicht aufhört, es ihnen zu nehmen, ist ihnen in der religiösen Halluzination zum Bruder der Rechtgläubigkeit geworden. Europa ist der Feind, gegen den sie sich in ihren eigenen Ländern nicht zu erheben wagten und nicht zu behaupten wissen." Gauß geißelt die Kriegstreiber, Biedermänner, Lügner und Brandstifter aller Lager. Er schreibt über den Mord an dem Regisseur Theo van Gogh in den Niederlanden und die Reaktion darauf in Europa, vor allem unter dessen Muslimen: "Viele müssen hassen, damit wenige glauben, morden zu dürfen."
Warum, in der Tat, überlassen die Intellektuellen, die "aufgeklärten Europäer" (sagt Gauß, ich habe da meine Zweifel) den Protest gegen solchen Wahnsinn einem Mob, dem nichts Besseres einfällt, als durchs Land zu ziehen und Moscheen in Brand zu stecken? Giftig gegen Zeitgenossen zu sein, fällt leicht, wenn diese "aufgeklärten Europäer" zu konkreten Namen werden, zu Haupt- und Leitfiguren auf dem Spielfeld der Eitelkeiten, mit dem sich der Kulturbetrieb inzwischen verwechselt, weil BILD-Zeitung und Fernsehen das so wollen. Da schont Gauß weder Peter Rühmkorf, "den vielfachen Ehrendoktor, Ehemann einer Ministerin, der seine Seitensprünge maliziös auflistet", noch seine Landsfrau Elfriede Jelinek, unschwer als Nobelpreisträgerin zu erkennen (so viele gab´s davon schließlich nicht, die er kennen könnte).
Die Denk-Schreiben von Karl-Markus Gauß enthalten immer ein reizvolles System-Element Zufall, d.h. Zeitläufte und Chaos. Sie sind aber im Vermischen der literarischen Genres, im Erzählen, Dokumentieren, Berichten und Kommentieren zugleich vollkommen konsequent durchdacht als System des Schreibens. Vandalen, ob in Fußballstadien, der Brüsseler EU-Verwaltung unter Industriellen oder auch nationalen Galionsfiguren wie Tony Blair, Silvio Berlusconi und José Maria Aznar sind die Hauptfeinde des erklärten Europäers. Sie reißen sich das gemeinsame Erbe Europas im Namen einer neoliberalen Wirtschafts-Globalisierung unter den Nagel: Vandalen, die gründlicher nicht irren könnten als in ihrem schrägen Glaubensbekenntnis unbewiesener "Sachzwänge". Sie sind die Feinde einer Kultur, die er mit Herzblut verteidigt - gegen jene, die das Volksvermögen zugunsten weniger verhökern, die Gewinne privatisieren und die Risiken sozialisieren wollen. Diesen Leuten ist Kultur nur Gewinn oder existiert nicht. Wie dieser Blog. Gewinn in EURO macht man mit so etwas nämlich auch kaum. Mein Gewinn ist vielmehr, dass ist dies schreiben darf, ohne dass mir jemand dreinredet. Wer es liest muss nicht dafür bezahlen. Es sei denn, er will das irgendwann tun und schafft einen Gegenwert. Mir ist dieser Blog auch teilweise Gegenwert für Karl-Markus Gauß, denn sein Buch wollte mein "Haussender" nicht (gegen Bezahlung) rezensiert haben. Hier steht jetzt viel mehr darüber - ätsch!

Salzburg als Literaturstadt

“Dich sing ich, wilde Zerklüftung”:
In Arbeit für SWR 2 RADIOART Literatur, 2007 (55 Minuten)

Salzburg ist nicht nur voller Musik, sondern auch voller Stimmen. Seit Georg Trakl leben und publizieren in der Mozartstadt auch ungewöhnlich viele Literaten: von A wie Ilse Aichinger bis Z wie Stephan Zweig. Alle wissen von einer „wilden Zerklüftung der Seele, wie sie Georg Trakl beschreibt. Trakl war kein helles Wunderkind wie Mozart, sondern ein dunkles. Seine Gedichte über Salzburg tragen zugleich Schönheit, Melancholie und Todesnähe in die Welt. Viele Salzburger mögen das nicht. Bürger und Bürgerschreck, Kultur und Geschäft stören, verstören und befruchten sich hier extrem. Thomas Bernhard reagierte nicht depressiv, sondern aggressiv auf diese Atmosphäre. Sehr unterschiedliche Autoren haben sich auf Salzburg ein- und über Salzburg ausgelassen, z.B. Karl Heinrich Waggerl, H.C. Artmann oder Peter Handke. Und noch immer trifft man hier „Kaffeehaustypen“ wie Max Blaeulich, stille Wasser wie Brita Steinwendtner oder Reisende wie den Lyriker Wulf Kirsten aus Weimar. Salzburg ist voll von Literatur. Gedenkstätten und Nicht-Gedenkstätten, Cafés und Künstlertreffs, der Otto-Müller-Verlag und der legendäre Residenz-Verlag: die Welt der Salzburger Literaten. Doch ist, anders als die heile Welt der Festspielstadt, auch dort nicht heil, wo es künstlerischen Erfolg und finanzielle Unterstützung gibt. Nur gut, dass sich Bürger und Bürgerschreck gegenseitig so sehr brauchen; denn was wäre schließlich der eine ohne den anderen?

Freitag, 1. Juni 2007

Karl-Markus Gauß, ein Großer Journal-Essayist

Lektüre nebenbei

Während der Korrekturen an einer SWR2-Zeitschrift, die unregelmäßig eintreffen, lese ich mit zunehmender Faszination Karl-Markus Gauß: "Zu früh, zu spät", ein essayistisches Journal der Jahre 2003 und 2004 (Zsolnay Verlag, 409 Seiten, 24,90 €). Da schreibt ein Seelenverwandter - und schreibt so gut, so frech, so herzerfrischend zornig, dass man neidisch werden könnte.
Karl-Markus Gauß, geboren 1954 in Salzburg, ist Herausgeber der Zeitschrift "Literatur und Kritik"beim Otto-Müller-Verlag.
Bei meinem Besuch in Salzburg (bei Arno Kleibel, einem Enkel des Verlagsgründers Otto Müller) hatte ich ihn nicht angetroffen und stattdessen ein Buch von ihm geschenkt bekommen: "Wirtshausgespräche in der Erweiterungszone", mit Fotos von Kurt Kaindl, mit dem er öfter in Osteuropa unterwegs ist. Gauß stammt von Eltern aus der ungarisch-serbischen Batschka ab und hat daher eine (auch sprachliche) Bildung, die seine Augen für den Osten weit öffnete. An diesen "Wirtshausgesprächen" gefiel mir bloß nicht die Kürze - da hätte es noch so viel zu erzählen gegeben, das wusste ich schon durch meine wenigen Reisen nach Ungarn, Polen, Teschechien und Litauen. Die DDR habe ich besser kennen gelernt, weil meine Frau aus Magdeburg kommt. Trotzdem erkannte ich so viel wieder und schienen mir die Gedanken von Gauß über die EU-"Erweiterungszone" Ost- und Mitteleuropa so menschlich, so kompetent, dass ich mir mehr wünschte. Jetzt habe ich es.
"Zu früh, zu spät" als Titel sagt mir nichts, auch die Titel vieler Essays seltsamerweise wenig. Doch kaum habe ich zu lesen begonnen, sagt mir fast jeder Satz eine Menge. Da ist die Rede vom Krieg im Irak, von der neuen Glaubens-Irrelehre der neoliberalen (was für ein Unwort!) Globalisierung, von seinen Reisen in die Problemgebiete und zu den Menschen der nun neuen EU-Länder im Osten, aber auch von Kindheits-Stadt Salzburg, über die ich eben einen Radio-Essay "Salzburg als Literaturstadt" geschrieben habe. Und wie es so ist: Kaum hat meine Arbeit das Haus verlassen und ist dem Regisseur zur radiogerechten technischen Produktion übergeben, finde ich bei Gauß Bestätigung und Ergänzung meiner Gedanken, die nur leider im Zeitkorsett einer Stundensendung gefangen sind. Da darf keine Minute nachgereicht werden, auch wenn ich´s noch so gern täte.
Mein Radioessay trägt als Titel die Gedichtzeile von Georg Trakl: "Dich sing ich, wilde Zerklüftung", die der große Salzburger Lyriker durchaus programmatisch auf seine Heimatstadt bezog. In Salzburg war das Verhältnis zwischen Dichtern (Künstlern, Intellektuellen) und Bürgern immer zwiespältig, eine seltsame Hassliebe. Der versuche ich nachzugehen und komme am Ende auf den Gedanken: "Bürger und Bürgerschreck, Kultur und Geschäft, Kunst und Kommerz stören und verstören sich hier auf exemplarische Weise gegenseitig. Aber, und das ist schon ein wenig unheimlich, sie befruchten sich auch. Der Bürger braucht den Bürgerschreck als Feindbild, von dem er sich wohltuend abheben kann, als schlechtes Beispiel für die Kinder. Und der Bürgerschreck braucht schließlich den Bürger; wen sollte er sonst erschrecken?"

Gauß, der Philosoph, wäre nicht der, der er ist, wenn er sich nicht längst seine eigenen Gedanken darüber gemacht hätte. Und die formuliert er so: "Es haben auch beide Interesse daran, dass es so bleibe und sich endlos wiederhole: die ihr Geschäft mit dem inszenierten Skandal machen und jene, die ihnen als pflichteilig Empörte dabei helfen. Verkehrte Welt, aus dem Skandalon der Kunst in der bürgerlichen Welt wird die merkantile Kunst des Skandals, und ein durch und durch opportunistisch konzipiertes Objekt gerät zum Streitfall über Zensur. Was verbindet mich außer dem Meldezettel noch mit dieser Stadt? Ein paar Freunde. Die Erinnerungen, denn diese Stadt bleibt, wie fremd ich ihr auch geworden bin, doch der Wunderraum meiner Kindheit und der Resonanzraum meiner jugendlichen Empörung... Und was wird mich mit dieser Stadt in Zukunft verbinden? Immer mehr Tote. So wird die Verbindung immer fester werden, je weniger wir noch gemein haben, ich und meine Stadt."

Salzburg und sein Theater, Salzburg und seine Bettler, Salzburg und seine Musik, Salzburg und seine Dichter - vor allem aber: Salzburg und seine Menschen, deren Geschichten und Geschichte sind der Humus, von dem aus dieser Reisende immer wieder hinaus in die Welt zieht, der ihm Perspektive gibt auch für den Wahnsinn des G8-Gipfels in Heiligendamm, über den er sicher auch bald schreiben wird, über die Enteignung der Europäer durch die Buchhalter und Raubritter der globalisierten Wirtschaft, die sich zugleich als Totengräber der sozialen und kulturellen Wertegemeinschaft eben dieses Europa betätigen, das ihnen zum Werbelogo wird. Gauß ist ein kostbarer Zeitzeuge, der außerdem noch herrlich schimpfen und fesselnd erzählen kann.
Ich werde weiter lesen, was dieser Mann geschrieben hat. Nicht nur in diesem Buch, das ich noch nicht zu Ende lesen konnte, weil mir immer wieder die aktuellen Verpflichtungen des Brotberufs dazwischen kommen. Auch die früheren Bücher von ihm will ich lesen, zuletzt "Die versprengten Deutschen" (2005) in Litauen, in der Zips und am Schwarzen Meer sowie "Die Hundeesser von Svinia" (2004) über die Ärmsten der armen Roma in der Slowakei. Ich, der ich als nicht eben fauler Leser mit Tagebüchern und Journalen meist nicht die nötige Geduld hatte - selbst "Die Fackel" von Karl Kraus, die als Gesamtausgabe in meinem Regal steht, habe ich nur auszugsweise gelesen, wenn ein Anblass mich dazu trieb - ich also bin jetzt schon ganz hüpfelig in Vorfreude auf das Journal "Mit mir, ohne mich" (2002) von Karl-Markus Gauß und sein Jahresbuch "Von nah, von fern" (2003).